Kategorie: Personalentwicklung

  • Intelligentes Zusammenspiel

    Intelligentes Zusammenspiel

    In Zukunft sind wir die ‚Natürliche Intelligenz‘ neben der Künstlichen. Das ist ein Unterschied, den wir verstehen, feiern und für uns nutzen sollten, findet die Trendforscherin Birgit Gebhardt.

    Momentan dreht sich alles um die Künstliche Intelligenz und wo man sie überall einsetzen kann: In Produktion und Fertigung, Handel und Logistik, in Energieversorgung wie Finanzdienstleistungen, in der Verwaltung, im Gesundheitswesen, Entertainment zur Qualitätssicherung, Einhaltung von Regularien und zur Sicherheit. Ob als Chatbot oder Roboter, ob in der Maschine, im Smartphone oder im Videogame: Künstliche Intelligenz kommuniziert, erkennt, berechnet und analysiert vieles, was vorher zum Tätigkeitsspektrum von Wissensarbeit gehörte. Das erleichtert und beschleunigt vieles, aber es stellt auch die Frage in den Raum, was uns Menschen zu tun bleibt und wie sich unsere geistigen Tätigkeiten verändern werden.

    Versuchen wir zunächst einmal, uns diese neue smarte Welt vorzustellen: Hier werden Aussagen verstanden, eine Nachfrage findet globale Angebote, Fachwissen ist überall verfügbar, Bots fassen Gespräche zusammen, Avatare im Metaverse versprechen Identitäten ohne Diskriminierungen, soziale Medien verbinden Interessen, Smart Watches monitoren unsere Work-Life-Balance und personalisierte Chatbots organisieren alltägliche Erledigungen – sofern wir sie damit beauftragen.

    Schnell wird klar: Die Vorteile liegen in der vernetzten Kommunikation, zwischen Menschen, Medien und Maschinen. Mit künstlicher Intelligenz automatisieren wir die Abwicklungsprozesse in den Backoffices, vernetzen kundenorientiert Middle- mit Frontdesk und setzen sie als gesprächiges Interface zwischen uns und unsere Umgebung. Damit schaffen wir eine Welt, in der alles miteinander sprechen kann – und wir dafür sorgen müssen, dass es auch richtig verstanden wird.

    Insofern scheint es vollkommen richtig, dass wir uns stärker dem kritischen Denken und Hinterfragen widmen, dass wir über unsere natürliche Intelligenz das Gespür für die Situation und über unsere Erfahrungen das Verständnis für den Kontext mit einfliessen lassen. Zum einen verlangt das nach einem breiteren humanistischen Bildungssockel, der uns ähnlich wie in einem Studium Generale mit vielen Sachverhalten, Zusammenhängen und neuen Perspektiven bekannt macht, wenn sich zum Beispiel MINT-Fachrichtungen mit Geisteswissenschaften kombinieren lassen oder die Lerngruppen divers und aus mehreren Kulturkreisen zusammengesetzt sind.

    Zum anderen benötigen wir neue Übungsmöglichkeiten, die unsere Wahrnehmung, Reaktionsschnelligkeit und Anpassung trainieren, denn das besagte Gespür für Menschen, Situationen und Veränderungen ist der Grundstock unserer natürlichen Intelligenz, – in unserem Sozialverhalten wie im Überlebenstrieb.

    Paläontologen vermuten, dass sich die natürliche Intelligenz des Menschen aus der Interaktion mit seiner direkten Umgebung ergeben hat, die ihn mal ernähren und mal bedrohen konnte, und dass wir diese Merkmale bis heute in unserem evolutionären Gedächtnis tragen. Auch wir betreiben also Mustererkennung, und in unserem Gehirn und Gedächtnis sogar noch komplexer als die KI, denn jeder Input, jede Wahrnehmung, wird unmittelbar mit der erinnerten Gefühls- und Erfahrungswelt abgeglichen.

    Psychologen wissen, dass wir Menschen zu rein rationalen Analysen gar nicht fähig sind, sondern immer interpretieren und unwillkürlich bewerten. Nicht selten umschiffen wir Wissenslücken mit Emotionen, über intuitives Verhalten, suchen Antworten in der Gruppe oder Beispiele und Gleichnisse in der Umgebung – und genau diese Kombination aus Erkennen, Erspüren und Bewerten in permanenter Wechselwirkung mit unserem Umfeld macht unsere natürliche Intelligenz aus.

    Es geht also um die Interaktion zwischen allen Beteiligten und in allen erdenklichen Formen des Wissens- und Erfahrungsaustauschs. Denn die erlebte Interaktion ist die fruchtbarste Lernstufe. Hier lässt sich – bestenfalls im Anwendungskontext – Neues erproben und einüben. Erst in der gemeinsamen Interaktion zeigt sich, was aus dem passiven Empfangen von Instruktionen und dem aktiven Suchen nach Informationen wirklich hängengeblieben und relevant für die aktuelle Fragestellung ist.

    Wenn es also die Interaktion mit der Umgebung oder der Gruppe war, die uns vor Millionen Jahren intelligent werden ließ, weil wir Werkzeuge erschufen, um den Herausforderungen unserer Umgebung zu begegnen, dann dürfen wir die KI genau so verstehen – als Werkzeug, das uns helfen kann, jetzt die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen.

    Birgit Gebhardt ist Trendforscherin und berät Unternehmen zur Zukunft der Arbeitswelt.
    birgit-gebhardt.com

    Illustrationen: Signorinah
    Einen Kurzfilm zur Arbeitswelt der Zukunft finden Sie unter diesem Link.
  • Unternehmen übersehen, was in Midlifern steckt

    Unternehmen übersehen, was in Midlifern steckt

    Die vergessenen Mitarbeiter. Midlifer sind die goldene Mitte im Unternehmen.
    Junge Fachkräfte sind rar und gefragt, ältere auf dem Sprung in den Ruhestand. Was passiert zwischen hoffnungsvollem Karriereauftakt und dem manchmal schleppenden Ende? Die Autorin Antje Gardyan fordert mehr Aufmerksamkeit für die mittelalten Mitarbeiter, die häufig mehr wollen, als einfach nur routiniert ihre Arbeit erledigen.

    Antje Gardyan1) im Interview mit Nora Schareika, WirtschaftsWoche

    WirtschaftsWoche: Frau Gardyan, bei der Diskussion um Fachkräftemangel hören wir viel von Babyboomern, die bald weg sind, und Generation Y und Z, die als Fachkräfte gefragt, aber anspruchsvoll seien. Von der Gruppe der Mittelalten dazwischen hört man wenig. Sie nennen sie Midlifer und haben ein ganzes Buch über die Besonderheiten der Ende 30- bis Mitte 50-Jährigen geschrieben. Werden die zu wenig von ihren Unternehmen beachtet?

    Antje Gardyan: Es gibt nicht nur nicht genug Aufmerksamkeit. Unternehmen verkennen oftmals die Sachlage. Arbeitnehmer zwischen 40 und Ende 50 bilden ein enormes Potenzial. Alle Unternehmen erleben derzeit einen demografischen Wechsel in ihrer Arbeitnehmerschaft, zum Teil gehen 20 Prozent in Rente. Viele gucken in diesem Moment zum ersten Mal auf ihre Midlifer und denken: Huch, wen haben wir denn da?

    Und? Wen finden sie da an den Schreibtischen und Maschinen vor?

    Die Midlifer sind der Mittelbau in den Unternehmen. Durch Erfahrung, Vernetztheit und Routine schaffen sie eine Menge weg und machen wenig Fehler. Doch zu selten ist die Weiterentwicklung dieser Mitarbeiter im Fokus. Das geschieht vorwiegend bei den Jüngeren. Bei den noch Älteren wird nur geschaut, wie man sie langsam aus dem Arbeitsprozess herausschafft. Und die Mittleren sollen funktionieren und die Lücke füllen, die durch die Rentenwelle entsteht, also länger arbeiten. Damit das funktioniert, muss man dieser Gruppe mehr Aufmerksamkeit schenken.

    Wieso laufen die Mittelalten unter dem Radar, wenn sie doch so viel wegschaffen, wie Sie sagen?

    Die Unternehmen sind so sehr mit der digitalen Transformation und der Veränderung der Geschäftsmodelle beschäftigt. Der Fokus der Personalarbeit liegt auf den knappen „jungen Talenten“ und es wird übersehen, was in den Midlifern steckt.

    Funktionieren, den Laden am Laufen halten, aber bitte keine Ansprüche auf Weiterentwicklung stellen – kann man es so zusammenfassen?

    Das Missverständnis ist, dass vonseiten der Unternehmensführungen den Midlifern unterstellt wird, sie würden keine Entwicklung mehr wünschen. Dass sie eigentlich zufrieden sind damit, wie es ist.

    Schliesst da jemand von sich auf andere, oder wie kommt das Missverständnis zustande?

    Eine verbreitete Sichtweise ist, dass Arbeitnehmer mit Ende 30, Anfang 40 – mit Berufserfahrung, nach Gründung einer Familie, nach der Rush Hour des Lebens eben – „angekommen“ seien. Das Aufgebaute wird ab 40 lediglich noch konsolidiert. So die Einschätzung. Das kann natürlich in Teilaspekten so sein. Aber Midlifer gerade zwischen Ende 30 bis Anfang 40 stellen Dinge bereits wieder infrage. Zum Beispiel: „Bin ich in dem Beruf, den ich jetzt erreicht habe und mit dem, was ich inhaltlich da mache, zufrieden?“

    Warum gerade an diesem Punkt?

    Man ist mit Anfang 40 in der Zukunft angekommen, die man mit Anfang 20 angefangen hat, sich aufzubauen. Die Lebensmitte ist eine Zeit der Bilanzierung, auch beruflich. Weil man 20 aktiv gestaltete Jahre erlebt hat, hat man inzwischen ein Zeitgefühl – und kann auch gut rechnen, wie lange die Zeit zwischen 40 und 60 oder 70 ist. Und dann kommt der Gedanke: „Eigentlich bin ich ganz zufrieden, oder müsste es sein, weil doch eigentlich alles gut ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, das genauso fortzusetzen, wie ich es die letzten 20 Jahre gemacht habe.“ Das ist eine andere Fragestellung als das legendäre „War das schon alles?“

    Was folgt daraus?

    Die Leute, mit denen ich spreche, haben eine viel positivere Frage, nämlich: „Was kann ich machen? Wie kann es weitergehen?“ Mit dem Gefühl nämlich, dass man noch sehr viel Zeit hat. Dann fangen die Midlifer an zu suchen und gucken, was sie verändern wollen, und wie es umgesetzt werden kann.

    Herrscht bei den Betroffenen denn Klarheit darüber, dass sie sich in dieser Bilanzphase befinden und auf der Suche sind? Und inwiefern sollten Arbeitgeber dafür sensibilisiert sein?

    Es muss aus beiden Richtungen eine Initiative kommen. Jeder Arbeitnehmer muss aus dem Gefühl, eine Veränderung oder Entwicklung zu wünschen, für sich herausarbeiten, was sich denn verändern soll. Die einen wünschen sich mehr Autonomie, andere eine Veränderung ihres Aufgabenfeldes oder sogar einen inhaltlichen Wechsel mitsamt Fortbildung. Wieder andere wollen gerne mehr mit jüngeren zusammenarbeiten und von denen lernen. Auf der Arbeitgeberseite ist es tatsächlich so, dass Führungskräfte nicht für dieses Konzept „Lebensmitte“ sensibilisiert sind. Den Personalentwicklungen ist das auch nicht klar. Das ist ein spannendes Feld.

    Was sollten Arbeitgeber und Personaler an diesem Punkt tun?

    In dieser Lebensphase müsste man eigentlich einen Abgleich machen: Wo stehst du, wo willst du hin und was können wir dir anbieten? Welche Unterstützung können wir als Unternehmen anbieten, was auch im Sinne des Unternehmens ist?

    Das klingt gut. Aber woher weiß der Arbeitgeber, wann der Angestellte gerade in seiner persönlichen Bilanzphase steckt? Muss jeder kurz nach seinem 40. Geburtstag zum Chef zitiert werden?

    Es hängt tatsächlich von biografischen Faktoren ab, wann die Lebensmitte beginnt. Wer eine kurze Ausbildung gemacht hat und früh Kinder bekommen hat, stellt sich wahrscheinlich auch früher die Fragen. Deswegen hängt der genaue Zeitpunkt für dieses Lebensgefühl von vielem ab. Wichtig wäre aber, dass es in Unternehmen die Bereitschaft gibt, über berufliche Weiterentwicklung in dieser Lebensphase zu sprechen – und zwar wirklich abgestimmt mit der jeweiligen Kompetenz und Berufsbiografie. Und die Arbeitnehmer müssen wissen, dass es so ein Angebot gibt. Wenn ich als Führungskraft in meinem Team Leute in dieser Altersspanne habe, kann ich ja auch im Dialog bleiben und mal vorfühlen, wie meine Leute sich die nächsten zehn bis 15 Jahre vorstellen, was sie verändern möchten und so weiter.

    Wo kann die Führungskraft einhaken, gibt es typische Symptome für „Lebensmitte“?

    Erst einmal: Lebensmitte ist keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsphase. Ich würde als Führungskraft einfach aufmerksam sein und abseits des Jahresgesprächs nachfragen. Dazu gehört ein guter Blick für den Mitarbeiter: Wie verändert sich die Art, wie er arbeitet, wirkt er routiniert, gelangweilt ohne Feuer trotz viel Arbeit? Das bedeutet nicht, dass jemand nicht mehr performt, sondern dass er nicht mehr für etwas brennt. Oder wenn jemand lange mit Arbeitsverdichtung zu tun hatte, fremdgesteuert ist. Auch da würde ich gucken, ist der noch bei mir oder geistig woanders, weil er nur noch funktioniert. Stagniert die Entwicklung, wann hat der inhaltlich das letzte Mal etwas Neues gemacht? Wann hat man ihm eine Chance gegeben, über sich herauszuwachsen?

    Quelle

    1. https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/die-vergessenen-mitarbeiter-unternehmen-uebersehen-was-in-midlifern-steckt/25400142.html (01.03.2024)
  • Eindrücke Kongress Tomorrwmind

    Eindrücke Kongress Tomorrwmind

    Was wäre, wenn wir damit aufhören würden, Menschen passend zu machen? 1)

    10. bis 12. November 2023 in Wien

    Ich konnte mich in diesen drei Tagen davon überzeugen, wie sich die „Positive Psychologie“ weiterentwickelt und wie eindrucksvoll sie bereits in die Praxis Einzug gehalten hat. Ich denke dabei vor allem an das von Martin Seligmann entwickelte P-E-R-M-A-Modell, das unter dem Namen PERMA-Lead in der Führungspraxis vieler österreichischer Unternehmen bereits erfolgreich zur Anwendung kommt. Markus Ebner nannte in seinem Vortrag 28 davon.2)

    Im Buch „Flourish“ stellte der amerikanische Psychologe Martin Seligman1) 2011 mit dem PERMA-Modell seine neue Theorie des Wohlbefindens vor. Er definierte die fünf Merkmale „Positive Emotions“(P), „Engagement“ (E), „Relationships“ (R), „Meaning“ (M) und “Accomplishment“ (A), als Grundlage für das Aufblühen von Menschen. Er wählte damit messbare und beeinflussbare Faktoren als Basis für ein gelingendes Leben und ermöglichte, dass die entsprechende Forschung systematisiert werden konnte.

    Markus Ebner entwickelte daraus das PERMA-Lead®-Modell2), das Positive Leadership-Führungs-verhalten beschreibt. Es zielt darauf ab, dass die Führungskraft aktiv für ein Arbeitsklima sorgt, das die Potenzialentfaltung bei den Mitarbeitenden fördert. Dieser Führungsstil erkennt und nützt die individuellen Stärken der Mitarbeitenden, anstatt überwiegend Schwächen in den Vordergrund zu stellen.

    Dadurch kommt es zu einer Win-Win-Situation: Das Unternehmen profitiert gleichermassen wie Führungskräfte und Mitarbeitende. Es handelt sich daher um einen Führungsstil, bei dem es darum geht, den heutigen Anforderungen in Organisationen nicht nur gerecht zu werden, sondern an ihnen zu wachsen und sich sowie seine Mitarbeitenden weiterzuentwickeln.

    M. Ebner: Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag, 11.11.2023 in Wien

    Positive Emotionen3)

    Hier geht es darum, wie sehr Führungskräfte aktiv positive Emotionen bei ihren Mitarbeitenden fördern.

    Positive Emotionen stärken. Sie unterstützen dabei, Problemdenken zu vermindern und erhöhen massgeblich die Lösungsorientierung. Sie erweitern die Wahrnehmung, führen zu einem besseren Aufbau von Ressourcen, erhöhen die Arbeitsleistung und verbessern das Arbeitsklima in Teams. Positive Emotionen bei Mitarbeitenden wirken sich nachweislich auf die Loyalität der Kunden und Kundinnen aus. Zahlreiche Studien zeigen, dass positive Emotionen einen messbaren stärkenden Einfluss auf das Immunsystem haben und somit gesundheitsförderlich sind.

    Was tragen Sie dazu bei, dass Ihre Mitarbeitenden sich am Arbeitsplatz wohlfühlen, zufrieden sind und auch Spass bei der Arbeit haben?

    Engagement

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr Führungskräfte individuelles Engagement bei ihren Mitarbeitenden fördern. Im Detail geht es darum, wie sie ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, eigene Fähigkeiten zu erkennen, bei der Verteilung der Aufgaben die individuellen Stärken der Mitarbeitenden berücksichtigen und ihnen helfen, ihre Stärken weiter auszubauen.

    Mitarbeitende, die erleben, dass ihre Stärken wahrgenommen und eingebracht werden können, bleiben mit grösserer Wahrscheinlichkeit im Unternehmen, sind signifikant motivierter, machen ihre Kundinnen und Kunden zufriedener, zeigen weniger unternehmensschädigendes Verhalten, engagieren sich überdurchschnittlich und sind generell mit ihrem Leben zufriedener. Stärkenorientierung ist eine der wesentlichen Elemente von Positive Leadership.

    Wie fördern Sie das individuelle Engagement Ihrer Mitarbeitenden?

    Relationships (Tragfähige Beziehungen)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskraft für tragfähige Beziehungen innerhalb des Teams sorgt. Im Detail geht es darum, wie sehr sie darauf achtet, dass sich die Mitarbeitenden gegenseitig unterstützen, wertschätzend miteinander umgehen und was sie dazu beiträgt, dass sich jede/r als Teil des Teams erlebt.

    Die Beziehungsqualität innerhalb eines Arbeitsteams hat unzählige positive bzw. negative Auswirkungen. So wird bei positiven Beziehungen beispielsweise verstärkt kooperatives Verhalten sichtbar und es werden auch mehr Informationen geteilt, was den Teamerfolg massgeblich beeinflusst. Die Fähigkeit, selbstständig Probleme zu lösen, steigt.

    Die Mitarbeitenden können sich in ihrer Freizeit besser erholen. Zudem ist auch die Resilienz der einzelnen Teammitglieder ausgeprägter.

    Wie sorgen Sie für tragfähige Beziehungen in Ihrem Unternehmen?

    Meaning (Sinn in der Arbeit)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskräfte dazu beitragen, dass ihre Mitarbeitenden ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Im Detail geht es darum, wie sehr sie ihren Mitarbeitenden vermitteln, dass sie wertvolle Arbeit leisten, Sinn in ihrer Arbeit erleben und auch wissen, wie wichtig ihre Arbeit für das Unternehmen bzw. die Abteilung ist.

    Wenn die Arbeit als sinnvoll erlebt wird, hat das zahlreiche positive Auswirkungen. Das Engagement und die Leistung steigen dadurch signifikant, die Qualität der Arbeit erhöht sich und die Arbeitsbedingungen werden von den Mitarbeitenden besser bewertet. Zudem werden positive Emotionen verstärkt, die Motivation ist höher und das Stresserleben sowie die Wahrscheinlichkeit an einer Depression zu erkranken sinken messbar.

    Was tragen Sie dazu bei, dass Ihre Mitarbeitenden ihre Arbeit als sinnvoll erleben?

    Accomplishment (Macht erreichtes sichtbar)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskräfte sichtbar machen, wenn etwas erreicht wurde. Es geht darum, wie oft sie ihren Mitarbeitenden positives Feedback geben, sie loben und sich mit ihnen freuen, wenn ein (Teil-)Ziel erreicht wurde.

    Die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was erreicht wurde, ist ein zentrales Führungsverhalten von Positive Leadership. Es wirkt sich positiv auf die Selbstwahrnehmung aus, was wiederum dazu führt, dass sich Leistung und Gesundheit der Mitarbeitenden verbessern, die Fluktuation sinkt und das Durchhaltevermögen steigt. Weiters erhöht sich die Lernfähigkeit sowie die Arbeitszufriedenheit und sogar die generelle Lebenseinstellung wird optimistischer. Dieser Blickwinkel stärkt nachweislich die Einschätzung der Mitarbeitenden, auch zukünftigen Aufgaben gewachsen zu sein.

    Wie oft und auf welche Weise machen Sie sichtbar, dass etwas von Ihnen oder Ihren Mitarbeitenden erreicht wurde?

    Zahlreiche Studien belegen die Positive Wirkung dieses Führungsstils.

    Hier einige Beispiele:

    Auswirkung von PERMA in Teams auf den Verkauf

    M. Ebner: Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag, 11.11.2023, Wien
    Diese Studie zeigt, wie sehr die Verkaufsmenge bei Positivem Leadership-Verhalten steigt.

    PERMA-Lead und Fluktuation

    Diese Studie zeigt, dass die Fluktuation drastisch sinkt, je mehr Positive Leadership in der Organisation gelebt wird.

    Quellen

    1. Den Seligmann, M.E.P. (2011): Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens
    2. Ebner, M. (2023): Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag am Kongress Tomorrowmind, 11.11.2023, Wien
    3. Nach: Ebner-Team GmbH, PERMA-Lead 360° Feedback, 2022
  • NEW WORK: Das Büro als menschenzentrierte Lernwelt – Die verpasste Chance?

    NEW WORK: Das Büro als menschenzentrierte Lernwelt – Die verpasste Chance?

    Wer sich wundert, warum sich die Angestellten ins Homeoffice zurückziehen, hat das eigentliche Potenzial professioneller Arbeitswelten vielleicht noch gar nicht erkannt. Wir sollten uns mehr auf die User-Experience konzentrieren und das Büro endlich in eine menschenzentrierte Lernwelt verwandeln.

    Man könnte denken, Organisationen seien auf dem richtigen Weg: Gerade erst wurde die Arbeitsorganisation transformiert: Zusammenarbeit sollte dynamisch und transdisziplinär in Projektteams erfolgen. Damit Prozesse agiler vonstattengehen konnten, wurden die Büros flexibilisiert: auf offenen Bürolandschaften sollte alles möglich sein, – vor allem Kommunikation und Wissensaustausch. Doch jetzt – da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt ihren Homeoffice-Wunsch äussern, stellt sich eine provokante Frage wie von selbst: Wurden die Arbeitskräfte bei diesen Planspielen vergessen?

    Eher nicht in Bezug auf agile Methoden und Befähigung zur Selbstorganisation. Vernachlässigt wurde vielmehr die Frage, inwiefern die räumliche Gestaltung einen spürbaren Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer leisten kann. Denn eigentlich könnte sie das.

    Wurde dem Arbeitsraum zu wenig zugetraut? Definitiv ja, und ich vermute aus mehreren Gründen:

    1. Jeder nutzt Raum für seine eigenen Zwecke.

    Die Mitarbeitenden tun es, die Personalentwicklung tut es und das Corporate Real Estate tut es auch.

    Bei den Mitarbeitenden scheint sich eine neue Faustregel abzuzeichnen: Je selbstorganisierter, qualifizierter und freier in der Wahl des Arbeitsortes, umso seltener findet man diese Personen im Büro. Das Bild bestätigen insbesondere IT-ler, die schon vor der Pandemie viel mobil gearbeitet haben und als die Pioniere der agilen Transformation gelten. Nun sind es leider ausgerechnet diejenigen, die am schwersten zu gewinnen und zu halten sind, die sich physisch vom Büro entfernen.

    Die Personalentwicklung kann sich also vorstellen, was deren Selbstbestimmung für die Führung, das Anlernen und die Zusammenarbeit im Büro bedeutet. Wie lange sind die persönlichen oder dem Team zugeordneten Arbeitsbereiche, – sogenannte ‚Home-Zones’ – noch zentrale Anlaufstelle in den Büros, wenn die auch die eigene Home-Zone bei der Familie zuhause oder am Urlaubsort bei Freunden frequentiert werden kann?

    Das Real Estate quält die neue Unplanbarkeit der Belegungsdichte. Nachhaltigkeitsauflagen scheinen leichter umsetzbar als die Abstimmung von Auslastung mit Bewirtschaftung.  Faustformel hier: In grösseren Unternehmen wird etwa ein Drittel abgemietet und Desk-Sharing eingeführt oder die bereits existente Sharingquote angehoben. Smarte Buchungssysteme übertagen den Angestellten die Aufgabe, sich mit dem verfügbaren Platz zu arrangieren. Ein Argument, um ins Büro zu kommen, ist das nicht. Im Gegenteil: die Mitarbeitenden können sich ihres Arbeitsplatzes zuhause sicherer sein als im Büro.

    Haben Real Estate und Personalentwicklung überhaupt gemeinsame Lösungsansätze, um den Bürobesuch wieder attraktiv zu machen? Oder geht es bei den Massnahmen, die derzeit in vielen Unternehmen getroffen werden, eher um die gebaute Effizienz der Organisation? Dann hätte unter dem Stichwort ‚agile Transformation’ am Ende doch nur jeder für sich selbst gebaut: Das Corporate Real Estate für eine optimierte Flächenbewirtschaftung und das HR für eine verschlankte Personalwirtschaft.

    2. Wir operieren vernetzt, aber haben nichts verstanden.

    Was soll nun auf den agilen Flächen passieren, wenn die Arbeit, ihre Inhalte und Medienwerkzeuge buchstäblich zum Menschen wandern, und man sich auch zuhause, in der Innenstadt oder auf dem Land zum gemeinsamen Co-Working treffen kann? Oder wenn wir uns gar nicht mehr treffen müssen, um zusammenzuarbeiten? Wo heute Meetings vom Konferenztisch auf den Monitor und Workshops auf das Miroboard wandern, schlagen wir gemeinsam die Transformationsrolle rückwärts und finden uns alle wieder am Bildschirmarbeitsplatz. Wie erfolgreich war dann die Vermittlung der agilen Zusammenarbeit für die Nutzer? Und wie erfolgreich für das Büro?

    Die hybride Zusammenarbeit führt es uns vor Augen: Medien erweitern unser Kommunikationsspektrum, doch uns fehlt die Didaktik, um sie auf unser natürliches Lernverhalten zu übersetzen. Glauben wir ernsthaft, es macht keinen Unterschied, ob man sich real oder per Namenskürzel auf Kacheln sieht? Automatisch fixieren wir den Bildschirm, glauben, er tauge für jede Arbeit, obwohl diese fokussierte Haltung kreative Ideengenerierung erschwert. Wir differenzieren nicht in unserer Arbeitsabsicht, fügen uns (ergonomisch) den Geräteanforderungen und verfehlen damit die eigentliche Aufgabe: unsere zwischenmenschliche Interaktion auch menschengerecht zu gestalten.

    Am Ende können wir nur die Arbeitsumgebungen bauen, die wir uns vorzustellen vermögen. Wenn wir so weitermachen, wird es nicht viel mehr sein, als ein Gamingsessel, aus dem wir in ein fades Metaverse starten.

    Dabei hat die Digitalisierung uns nicht nur vor komplexe Herausforderungen gestellt, sondern die Lösungswerkzeuge gleich mitgebracht: Technologisch wie methodisch können wir vom Bildschirmarbeitsplatz aufstehen und uns einander zuwenden. Unter dem Stichwort ‚aktivitätsbasiertes Arbeiten’ gibt es neue Möbel und Medien, die uns in unserer Tätigkeitsausübung ergonomisch-funktional unterstützen wollen. Doch funktional reicht nicht, um Menschen in eine andere Arbeitsverfassung zu bringen. Wer Raum als Führungsinstrument nutzen will, sollte nicht nur die Infrastruktur, sondern den Menschen im Auge haben. Wir sind sinnliche Wesen, keine Maschinen.

    3. In der sinnlichen Wahrnehmung liegt unser Vorteil.

    Psychologie, Verhaltens- und Hirnforschung bestätigen, wie stark die weichen, physiologischen und emotionalen Faktoren unsere Denk- und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Biologen haben bewiesen, dass unser Körper permanent mit der Aussenwelt kommuniziert, die wiederum unseren Metabolismus wie Hormonhaushalt beeinflusst – und damit unsere (Arbeits-)Verfassung, Stimmung und Gefühlswelt. Wenn wir uns also permanent im Hier & Jetzt verorten, sollte uns das Anregung und Argument genug sein, die reale Umwelt stimulierender zu gestalten.

    Wir kommunizieren unweigerlich mit Räumen, spüren ihre Wirkung auf uns, passen uns an oder beginnen in ihnen zu handeln. Der kognitive Neurologe Colin G. Ellard vertritt die These, dass Gebäude in uns Anpassungsbestrebungen auslösen, und verweist auf unsere Spiegelneuronen zur Empathiefähigkeit, wenn wir Freude oder Leid im Gesicht einer Person nachempfinden. Es kann also auch ein wertschätzender Raum zum Gefühl des Wertgeschätztseins beitragen. Und es muss uns nicht wundern, dass uns im typischen 3-Bund-Büro nicht das Herz aufgeht, wenn wir raumbildend so unter unseren Möglichkeiten bleiben.

    Wenn also wir Menschen von Natur aus geneigt sind, mit unserer Umgebung zu assimilieren und in der Wahl dieser Räume mehr Freiheiten haben, werden Mitarbeitende den Raum aufsuchen, in dem sie sich den grössten Support, funktional wie emotional, erhoffen. Bietet die Lernwelt (und die in ihr Agierenden) schon ein assoziatives Abbild der Lernverfassung oder Arbeitshaltung, die der Neuankömmling einnehmen will, fällt ihm der Switch in die Arbeits- oder Gesprächshaltung leichter. Vor allem in flexiblen Strukturen und bei einer freien Entscheidung, wie und wo man arbeiten möchte, werden Vorbilder, Rituale und Symbolik zu wichtigen Mustern, um sich selbst effizienter zu orientieren und zu organisieren.

    4. Das Büro als Bühne zur Selbsterprobung

    Der Fokus Raum bedient zwei Servicegedanken, die das Büro als Lernwelt zusammenfassen könnte: den Kommunikationsraum, der Zeiten und Realitäten überwindet. Und den physischen Begegnungsraum, in dem Menschen ihre Grenzen untereinander überwinden. Jede dieser Richtungen nimmt uns mit auf eine User-Experience. Die Chance für das Büro wäre nun beide Realitäten als Blended Learning wie auf einer Bühne erlebbar zu machen: So wie heute jede digitale Karte die Welt um den Standpunkt des Individuums aufbaut, so ähnlich müssen wir uns die künftige Erwartung an die Arbeitswelt vorstellen: ‚Die Möglichkeiten zu Füssen gelegt, und das Geländer zur Zielerreichung hier im Angebot!’

    Wo die Transformation verlangt, dass wir uns permanent in neuen Rollen ausprobieren, findet sich mit der Probebühne der Resonanzraum, um sich gemeinsam an Neues heranzuwagen. Die Bühne schafft Flexibilität und Sichtbarkeit: Sie ermuntert zu „freien Stücken“, indem sie die Akteure ins Licht setzt.

    Die Chance dieser Lernwelt liegt in der multisensorischen User-Experience, als besonderer Lernerfahrung und ihrem Narrativ, das Teil der Unternehmenskultur sein könnte. Das Büro ist hier im Vorteil: Je mehr Sinne adressiert werden, umso reicher der Eindruck. Je positiver sie angeregt werden, umso nachhaltiger die (Lern-)Erfahrung. Erst dann funktioniert Raum als Befähiger, Vermittler und Verwandler.

    Quelle

    1. Den ungekürzten Artikel „Die verpasste Chance der Lernwelt“ verfasste Birgit Gebhardt für das Personalmagazin plus: Arbeitswelten 10/22
  • Innehalten in der Krise – Ein Diskussionsbeitrag

    Innehalten in der Krise – Ein Diskussionsbeitrag

    Der Begriff Krise kommt ursprünglich aus der Medizin. Es wird damit ein Zustand bezeichnet, in dem Symptome auftreten, die den Patienten ernsthaft bedrohen und der menschliche Körper alle seine Abwehrkräfte mobilisiert. Die Krankheit strebt einem Höhepunkt entgegen. Der Ausgang der Bedrohungslage ist ungewiss. Die Chinesen stellen mit dem Schriftzeichen, das den Begriff Krise bezeichnet, einen Zustand dar, der gleichzeitig Gefahr (Risiko) und Chance signalisiert.

    Der Bezug des Begriffs wurde auf andere Zusammenhänge ausgeweitet. So wurde im letzten Jahrzehnt eine rasche Folge von Krisen im gesellschaftlichen Kontext markiert und beschrieben. Die Rede ist von der Energiekrise, weiters von einer Finanzkrise beziehungsweise von der Klimakrise und zuletzt von einer Migrationskrise. Jetzt sind wir bei der Corona-Krise mit dem Titel Covid-19 angelangt.

    Es verdichtet sich der kollektive Eindruck, dass Krise zu einem Normalzustand mutiert und Stabilitätszonen in rascher Folge verloren gehen. Die hier fokussierte Entwicklung wirft Fragen auf, die das gegenwärtige Modell der sozialen Marktwirtschaft problematisiert. Nicht von ungefähr führen die Einschränkungen der Covid-19-Pandemie zur Aktualisierung der Staatsmacht und zur Begrenzung des persönlichen Freiheitsraums. Autoritäre Tendenzen klingen mehr oder weniger stark an. Der Polizeiskandal in den USA und die damit einhergehende Rassismus-Debatte sind Belege dafür.

    Diese markante Unbeständigkeit und persönliche Unsicherheit führen zu Desorientierung und Verwirrung. Die Rückkehr zur Normalität wird allenthalben beschworen, verbunden mit der Befürchtung, dass nach der Pandemie eine ökonomische Krise droht. Die grundlegende Frage lautet: Ist die Corona-Krise ein epochaler Einschnitt, der unser Denken und die Lebensbedingungen grundlegend verändert oder macht das Virus etwas deutlich, was schon auf eine längere Zeitdauer zurückgeht? Was ist gesellschaftlich gesehen Ursache und Wirkung?

    Der Soziologe Andreas Reckwitz1) stellt in diesem Zusammenhang den Dynamisierungs- und Mobilisierungsschub im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in den Vordergrund. Er unterscheidet zwischen „silent revolutions“ und „noisy revolutions“. Der augenblicklichen lauten Revolution, der Ausweitung der Staatsmacht und der Limitierung der industriellen Freiheitsrechte sei schon ein länger laufender Prozess von stillen Revolutionen vorausgegangen. So Reckwitz im Originalton: „Die Postindustrialisierung, die Digitalisierung, die Liberalisierung, die Vermarktlichung und Globalisierung dringen in die Lebenswelten ein, und fast niemand kann sich heute ihren Folgen entziehen. Es ergeben sich nicht nur erfreuliche Resultate – Freiheits-, Konsum- und Mobilitätsgewinne -, sondern auch problematische: verschärfte soziale Ungleichheit, kulturelle Desintegration, psychische Frustrationen, Vernachlässigung öffentlicher Güter, Marktüberhitzungen und verstärkte ökologische Gefährdungen.“

    Man erkennt mittlerweile, welche destruktiven Potenziale die augenblickliche Epoche enthält. So kommt da und dort eine Endzeitstimmung auf, die eine Art Gegengewicht zur „Rückkehr zur Normalität“ bildet. Ob diese Rückkehr gelingen wird sei offen und keineswegs gewährleistet.

    Allerdings kann das Virus als Menetekel einer Postmoderne in der Sackgasse und als Chance für einen gesellschaftlichen Neubeginn gedeutet und dramatisiert werden. Der Autor fasst seine Überlegungen mit skeptischem Unterton zusammen: „Die hoffnungsvollen Erwartungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklungen, wie viele sie seit dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 in den westlichen Ländern gehegt haben, werden so grundsätzlich enttäuscht oder zumindest relativiert. Die Erwartungen erweisen sich heute als Illusionen, das Ergebnis ist Desillusionierung.“2)

    Die hier zitierte Desillusionierung konfrontiert immer mehr Menschen mit persönlichen Verlusterfahrungen. Immer mehr Eltern sind nicht mehr von der Hoffnung motiviert, dass es die Kinder einmal besser haben werden als sie selbst, sondern werden von dem Verlangen beseelt, alles zu tun, was sie irgendwie können, damit es ihnen nicht schlechter geht. Hartmut Rosa diagnostiziert folgende Tendenz: „Wer deshalb behauptet die Moderne (Postmoderne) werde vom Verlangen nach dem Höher, Schneller, Weiter getrieben, verkennt ihre strukturelle Realität. Es ist nicht die Gier nach mehr, sondern die Angst vor dem immer weniger, die das Steigerungsspiel aufrechthält. Es ist nie genug, nicht weil wir unersättlich sind, sondern weil wir immer und überall auf Rolltreppen nach unten stehen. Wann und wo wir immer anhalten oder innehalten, verlieren wir an Grund über eine hochdynamische Umwelt, mit der wir überall in Konkurrenz stehen. Es gibt keine Nischen oder Plateaus mehr, die es uns erlaubten, innezuhalten, oder gar zu sagen: Es ist genug.“3)

    Impulse aus der Soziologie zum Umgang mit der Krise

    Soziale Rahmenbedingungen durch staatliche Steuerung lassen sich zwar in diese oder jene Richtung modifizieren, aber was ist für jeden einzelnen Menschen wichtig?

    Grundsätzlich kann man vor allem an zwei Strategien denken, welche über die von der Selbstverwirklichungskultur beeinflussten Entwicklungen hinaus gehen könnten und die im psychologischen Ratgeber-Diskurs bereits präsent sind: einerseits eine Strategie, die auf die Reflexion und das Aushalten von Widersprüchen setzt; andererseits eine Strategie, welche eine stärkere Distanz zu den eigenen (negativen und positiven) Emotionen übt.4)

    Es ginge darum, die Präsenz von Emotionen zwar anzuerkennen, sich aber im Rahmen der jeweiligen Lebensform nicht von ihnen abhängig zu machen – und zwar weder von den negativen noch (was schwer fällt) von den positiven Gefühlen. In Krisenzeiten ist der innere Abstand zu dem Äußeren im Moment der un- oder außergewöhnlichen Beanspruchung die wichtigste Kraftquelle. „Wer Probleme lösen will, muss sich zuerst von den Problemen lösen.“5)

    Der Wissenschaftler Csikszentmihalyi, der Erforscher des Flow-Erlebnisses, hat nicht nur auf die innerpsychische Bedeutung des Umgangs mit seinen Gefühlen und seinen kognitiven Fähigkeiten hingewiesen, sondern die gleichzeitige Ausdifferenzierung und Integration von Emotionen, kognitiven Anlagen und Verhaltensweisen betont. Entscheidend sind das allmähliche Lernen und Leben in einer Umwelt, die verbunden ist mit einer Erfahrung der Freude und des Glücks, die zu einer größeren seelischen Komplexität führt. Es geht um die Fähigkeit trotz widriger Umstände seine Motivation und die innere Balance aufrecht zu erhalten.

    „Die Erfahrung von Flow tritt dann ein, wenn die Ziele dessen, was man verrichtet, klar sind. Nur dann kann man wissen, was man von Augenblick zu Augenblick tut (Strategischer Korridor als Leitlinie) und sich ganz in diese Aktivität vertiefen. Diese Ziele müssen klar und greifbar sein, sie dürfen nicht diffus, vage und allenfalls in weiter Ferne erreichbar sein. Auch der längste Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt – und den sollte man, so unbekannt das Ende des Weges letztlich sein mag, klar vor Augen haben. Das Flow-Erlebnis wird zum Anreiz, sich weiterzuentwickeln und zu höheren Ebenen der Komplexität vorzustoßen. Die Balance von Anforderung und Fähigkeit ist dynamisch, sie kann sich und zugleich das Flow-Erlebnis höherschrauben.6)

    Csikszentmihalyi sagt auch, zu den kostbarsten Gaben, die ein Mensch besitzen kann, gehört die Fähigkeit, Anregungen in seiner Umgebung zu entdecken, die von anderen vielleicht gar nicht wahrgenommen werden.

    Effektives Krisenmanagement basiert auf folgenden Stärken: Urteilsvermögen, Entschlossenheit, die Fähigkeit – auch angesichts kritischer Bedrohung – schnell zu handeln, sowie das Vermögen, Entscheidungen mit Überzeugung und ruhiger Bestimmtheit durchzusetzen. Es braucht Integrität, Verantwortlichkeit und Zivilcourage. In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht von Entscheidungsträgern. Einfach nur innezuhalten ist die bessere Alternative, anstatt auf bedrängende Ereignisse unmittelbar zu reagieren und bereits bekannte Verhaltensmuster abzurufen. Um Wirkung zu erzielen bedarf es einer klaren Position und „gleichsam hörendes, aufhörendes Aufeinanderbezogensein das verwandelnde Kraft hat, aber beiden Seiten die eigene Stimme und die Antwortfreiheit lässt.“7)

    Quellen:

    1. Reckwitz, Andreas, in: Die Zeit No 23, 10. Juni 2020
    2. Reckwitz, Andreas: Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie in der Spätmoderne, 2019
    3. Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit, 2019
    4. vgl. Reckwitz, Andreas: Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie in der Spätmoderne, 2019
    5. Volk, Hartmut: Raus aus dem negativen Strudel, Management Standard, Mai 2020
    6. Csikszentmihalyi, Mihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, 2019
    7. Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit, 2019
  • Was wir in Zeiten der Krise tun können

    Was wir in Zeiten der Krise tun können

    Wenn ich mit meinen Kunden und auch mit meinen Freunden über ihre aktuellen Situationen austausche, höre ich sehr unterschiedliche Beschreibungen:

    Einzelne freuen sich über die Verlangsamung und über die geschenkte Zeit, um bei dem schönen Wetter den Garten zu geniessen, zu lesen, einen Artikel zu schreiben, für die eigene Fitness zu sorgen und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Andere befinden sich in grossem Stress zu Hause im Homeoffice, in zahlreichen Videokonferenzen, haben das aufwändige Homeschooling zu bewältigen, die Kinder bei Laune zu halten und die Familie mit Essen zu versorgen. Wieder andere stecken in grossen Sorgen, ob sie ihr Unternehmen mit Kurzarbeit gut am Leben erhalten können. Und die zahlreichen Menschen im Gesundheits- und Altersbereich bemühen sich darum, einen passenden Umgang mit dem Covid-19-Virus zu finden, um kranken und alten Menschen in Isolation eine professionelle und zugewandte Pflege und Unterstützung zukommen zu lassen – arbeiten bis zur Leistungsgrenze, permanent der Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Und schliesslich höre ich von Menschen in Isolation, in banger Hoffnung, ob sie den Virus überleben werden.

    Wir befinden uns seit Wochen in einer Ausnahmesituation, die wir so noch nicht erlebt haben. Corona hat sich von einer entfernten Gefahr zu einer akuten Pandemie entwickelt, die massive Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt. Diese ernste Situation befeuert Emotionen, die wir unter Kontrolle bringen müssen, um weiterhin klug entscheiden und handeln zu können. Wir befinden uns im «Vor-Sicht-Modus», täglich darum bemüht, ein der Situation angemessenes Verhalten zu entwickeln. Die genutzte Technik ist zwar hilfreich, im Wesentlichen geht es aber um unser Verhalten – um Beobachten, Experimentieren und darum, im Denken, Fühlen, Wollen und Tun Neues zu ermöglichen. Radikalität wird sichtbar und wir staunen, was alles in kurzer Zeit möglich ist: Engpässe werden ausgeglichen, Verzicht wird in erstaunlichen Situationen möglich, Hilfe wird in grossem Ausmass mobilisiert, Chancen werden wahrgenommen und neue Erkenntnisse herbeiexperimentiert.

    IN SOLCH HERAUSFORDERNDEN ZEITEN IST DIE WIDERSTANDSKRAFT DER MENSCHEN, UNSERE RESILIENZ GEFORDERT.

    Für die einzelnen Menschen bedeutet das, sich den grossen Herausforderungen und Ängsten zu stellen, sie anzunehmen und den Blick für neue Möglichkeiten zu öffnen. Dazu muss es immer wieder gelingen, nicht im ängstlichen Gedankenkarussell stecken zu bleiben, sich gut und schnell erholen zu können, unkonventionelle gedankliche Verbindungen zuzulassen und sich kreativen Ideen zu öffnen.

    Organisationale Resilienz fokussiert neben den eingespielten Routinen, neben Erfolgs-, Wachstums- und Effizienzbestrebungen auf die Beobachtung der neuen Phänomene, auf das Stellen von Fragen, auf Reflexion und Flexibilisierung. Gleichzeitig gewinnt die Fähigkeit der Mitarbeitenden, in einen schnellen, ehrlichen Austausch zu kommen, die gemeinsame Reflexion, die Regenerationsfähigkeit und die Beobachtung von Belastungsgrenzen an eminenter Bedeutung.

    Ich nehme wahr, wie in Organisationen achtsames Führen wichtig wird – präsent, im intensiven Austausch, mit klaren einfachen Regeln aber sehr reflexiv (auch wenn das weitgehend nur über Distanz möglich ist). Menschen, die Halt geben und Orientierung schaffen, werden bedeutsam.

    In diesem Zusammenhang gewinnt eine schon recht alte Methode* wieder an Bedeutung: die Achtsamkeit. Achtsamkeit zeigt sich als Gewinn für Unternehmen und Mitarbeitende.

    WAS IST ACHTSAMKEIT?

    Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Achtsamkeit bedeutet Bewusstheit oder auch Geistesgegenwart. Wir nehmen wahr, was jetzt passiert, in einer sehr dem Leben zugewandten Art. Unsere Haltung ist dabei von Interesse und Neugier geprägt. Wir sind nicht im Widerstand mit dem, was wir erleben.

    Ist Ihnen aufgefallen, wie schnell sich die Natur in den letzten Wochen entwickelt hat? Anfangs gab es auf den Bäumen noch keine Blätter; heute blühen Tulpen, Forsythien, Zier- und Obstbäume und Flieder, fast alle Laubbäume sind beblättert. Antworten Sie jetzt: „Sowieso, ist ja nicht zu übersehen!“ oder „War ja auch schon Zeit!“ oder antworten Sie jetzt: „Ja, ich habe es ganz bewusst wahrgenommen und mich täglich darüber gefreut!“?

    Scheinbar selbstverständliche Dinge achtsam wahrzunehmen bzw. Tätigkeiten achtsam durchzuführen ist in unserem Alltag gar nicht einfach. Wir laufen oft im „Autopilot-Modus“, der ja in vielen Dingen auch sehr hilfreich ist: So müssen wir z.B. beim Autofahren nicht über jeden einzelnen Blick, Handgriff oder die korrekte Pedalbetätigung nachdenken. Auch im Berufsleben funktionieren wir routiniert und primär rational: vergleichen, abwägen, analysieren, bewerten, kategorisieren, gegenüberstellen, prüfen, messen, delegieren … da bleibt einfach keine Zeit für Achtsamkeit, wozu auch? Es läuft ja wunderbar so!

    Aber egal ob privat oder beruflich: Je mehr wir uns dazu verführen lassen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und in Gedanken jeweils schon zwei Schritte voraus (oder bei etwas ganz anderem) zu sein, desto größer wird die Gefahr von Stress, Hektik und Unzufriedenheit. Unser Gehirn kann sich nur mit einer Sache gleichzeitig beschäftigen. Daher schalten wir beim Multitasking ständig zwischen verschiedenen Netzwerken im Gehirn hin und her. Langfristig verlieren wir beim Multitasking unsere tiefe Konzentrationsfähigkeit. Und langfristig können uns Stress, Hektik und Unzufriedenheit sogar krank machen. In Zeiten wie diesen kommt bei vielen Menschen noch Angst hinzu.

    Achtsamkeit kann in herausfordernden Lebenssituationen sehr gut dabei unterstützen, Widerstandskraft, Gelassenheit und Vertrauen in die eigenen Ressourcen aufzubauen.

    Beobachtungsdistanz

    Mit Achtsamkeit lernen wir, eine Beobachtungsdistanz aufzubauen. Zwischen uns selbst – und unseren Gedanken und Situationen. Wir erleben, dass Gedanken kommen und gehen – wenn wir sie loslassen. Und dass wir unseren Gedanken nicht immer glauben müssen. Es ist enorm hilfreich, sagen zu können: „Da war ein Gedanke, dass ich Angst haben sollte.“ Alternativ kann man auch sagen: „Ein Teil von mir hat Angst.“

    Damit desidentifiziert man sich von dem Gefühl und den daraus resultierenden Reaktionen. Man verdrängt die Angst nicht. Nimmt sie aber auch nicht als die einzige Wahrheit: Ein Teil von mir hat Angst, ein anderer Teil ist ganz zuversichtlich.

    Das heisst, ich nehme wahr, was im Hier und jetzt passiert, denke mit und bin mir meiner Emotionen, meines Körpers, des Kontextes bewusst – ohne Widerstand, ohne Abwehr, ohne Wertung. Das bedeutet nicht, mit allem einverstanden zu sein und das bedeutet auch nicht, Geschehnisse oder Bedrohungen zu leugnen. Wir nehmen wahr, was ist und erhalten Zugang zu unseren geistigen Potentialen. Unsere Wahlfreiheit steigt. In unserem Gehirn ist damit das limbische System (emotionales Gehirnareal) weniger aktiv, wir reagieren stärker aus unserem Frontalhirn.

    WAS BRINGT UNS ACHTSAMKEIT?

    Regelmässige Achtsamkeitsübungen und Meditieren sind einfach und haben viele positive Auswirkungen auf unseren Geist und unseren Körper. Wir werden selbstbewusster, fokussierter, konzentrierter und energetischer. Wir gewinnen an innerer Stärke und Wachheit, während wir uns gleichzeitig entspannen.

    Achtsamkeitsübungen helfen ausserdem…

    … herunterzukommen, wenn wir gestresst sind,
    … unsere Ängste besser in den Griff zu bekommen,
    … schlechte Gefühle und Gedanken abzufedern und positiver durchs Leben zu gehen.

    Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass bereits nach 8 Wochen regelmässiger Übung die Gehirnstruktur umgebaut ist:

    • Es gibt höhere Aktivität im linken präfrontalen Cortex (Glückserleben).
    • Der Hyppocampus (Nervenzellfabrik, zuständig für die Verarbeitung von Emotionen und Lernprozessen, Schaltstelle zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis) wächst und verästelt sich besser.
    • Die Amygdala (Angstzentrum) verkleinert sich.
    • Schmerzen reduzieren sich.
    • Bluthochdruck normalisiert sich.
    • Und das Immunsystem verbessert sich.

    Unternehmen wie Google und SAP haben bereits zehntausende Ihrer Mitarbeitenden an Achtsamkeitsseminaren teilnehmen lassen. Sowohl die Teilnehmenden als auch die Unternehmen berichten von signifikanten und messbaren Veränderungen im persönlichen Wohlempfinden, im Umgang mit Stress, in der kreativen und intuitiven Problemlösungsfähigkeit und in der Zusammenarbeit. Die Trainings führten auch zu einer Erhöhung der Produktivität, zu geringeren Krankenraten und erhöhter Mitarbeitendenzufriedenheit.

    WIE LERNEN WIR ACHTSAMKEIT?

    Es lässt sich eine formelle und eine informelle Praxis unterscheiden.

    Die formelle Praxis
    Was regelmässiges Fitness-Training für unseren Körper, ist Meditation für unseren Geist. Meditation kultiviert präsent zu sein.

    Ort und Sitzposition:
    Wir müssen dazu auch nicht den Schneidersitz einnehmen. Wir können auf einem Stuhl sitzen oder auf einem Ball, ein Meditationshocker und -kissen sind ebenfalls willkommen. Es geht darum, dass wir eine Haltung finden, in der wir möglichst ruhig, wach und entspannt sein können. Ein aufrechter Rücken bewirkt, dass sich die Brust öffnet, wir frei atmen können und ein ungehinderter Energiefluss zustande kommt. Der Platz sollte ruhig, ungestört und angenehm sein (Handy still schalten).

    Meditation:
    Wir starten damit, uns auf die Atmung zu konzentrieren. Dabei spüren wir immer wieder, dass unser Geist abschweift. Wenn Gedanken und Gefühle entstehen, nehmen wir sie wahr ohne zu analysieren oder zu bewerten. Wir unterdrücken weder Gefühle noch Gedanken, sondern betrachten sie, wie sie von Moment zu Moment entstehen. Wir nehmen wahr und kommen wieder zum Atem zurück. Wir tun das mit einer Haltung von Offenheit und Neugierde. Alle Gedanken, die auftauchen sind willkommen – wir lassen sie wieder ziehen.

    Der Schlüssel der Achtsamkeitspraxis liegt nicht so sehr im Objekt unserer Aufmerksamkeit, sondern in der Qualität der Aufmerksamkeit, die wir jedem Moment entgegenbringen. Ausserordentlich wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit einem stillen Zusehen, einem unparteiischen Beobachten gleicht, das nicht bewertet oder die inneren Erfahrungen ständig kommentiert. Ein reines, urteilsfreies Wahrnehmen der Moment-zu-Moment-Erfahrung hilft uns zu sehen, was in unserem Geist geschieht, ohne dies zu verändern oder zu zensurieren, ohne es zu intellektualisieren oder uns in unaufhörlichem Denken zu verlieren.

    Wir starten mit 5 Minuten und erhöhen langsam auf 10 Minuten täglich. Ein Wecker oder eine Sanduhr sind dabei hilfreich. Wir finden zu einer Zeitspanne, die für uns stimmig ist. Und so trainieren wir unseren Geist, ohne das Leben komplett auf den Kopf stellen zu müssen – vergleichbar mit unserem Körper beim Fitness-Training verändert sich unser Geist durch die Meditation.

    Die informelle Praxis
    Das ist eine spezifische Art in der Welt zu sein und in Kontakt zu treten. Wir können in jeder Sekunde unseres Lebens üben, indem wir im Augenblick präsent sind und bewusst wahrnehmen: Ich sitze gerade, höre ich noch zu oder blicke ich aus dem Fenster und denke, was mache ich heute Abend? Wir können bei jeder Tätigkeit in den Modus der Achtsamkeit schalten. Das, was uns häufig schwerfällt, ist uns daran zu erinnern. Wir schweifen sehr schnell ab.

    Was können wir tun, um die Erinnerungen zu schaffen, damit Achtsamkeit Teil des täglichen Handelns wird? Um uns daran zu erinnern, sind physische Erinnerungen sehr hilfreich: ein gelber Punkt auf dem Notebook, ein Achtsamkeitsgong am Handy, eine Achtsamkeitserinnerung im Kalender, ein Erinnerungssymbol am Schreibtisch – heute schon durchgeatmet?

    Oder: Eine Tätigkeit suchen, die wir ganz bewusst machen wollen: abwaschen, Kind zu Bett bringen, Zähneputzen. Am besten eine, die Sie gerne machen. Der Körper hilft dabei: Wie fühlt es sich an, wie Sie jetzt sitzen…?

    Um körperlich fit zu bleiben, gehen wir die Treppen hoch anstatt mit dem Lift zu fahren, um den Geist zu beruhigen und fit zu halten, integrieren wir Achtsamkeit in unseren Alltag.

    Wenn Sie sich und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen, hier eine kleine Übung: Halten Sie immer wieder kurz inne, atmen Sie drei Mal im eigenen Rhythmus tief durch, spüren Sie Ihre Füsse am Boden und nehmen Sie wahr, was gerade ist… Und was um Sie herum ist: Welche Details gibt es in ihrer Umgebung…? Wie riecht es…? Was ist zu hören…? Was fühlen Sie gerade jetzt…? Kommen Sie (immer wieder) in Kontakt mit sich selbst und genießen Sie die Augenblicke der Achtsamkeit, z.B. die blühenden Bäume, die warme Frühlingsluft oder auch die Antwort der Kollegin am Montagmorgen, als Sie gefragt haben: „Wie war das Wochenende?“ Es gibt nichts zu tun und nichts zu erreichen. Sie machen eine kleine Pause.

    Hier sind einige Apps zur Unterstützung Ihrer Meditation: z.B. 7Mind, Calm, Headspace.

    Die aktuelle Situation des Lockdown ist herausfordernd und für viele Menschen schwierig zu ertragen. Sie stellt aber auch eine Chance dar, eine Praxis der Achtsamkeit in unseren Alltag zu integrieren, die uns auch für die Zukunft resilienter macht.

    *Die Wurzeln der Achtsamkeitspraxis liegen in den zweieinhalbtausend Jahre alten buddhistischen Lehren. Dass wir ihre heilsamen Grundlagen und Übungen in einem säkularen Kontext nutzen können, haben wir vor allem dem Medizinprofessor Dr. Jon Kabat-Zinn zu verdanken. Ende der 1970er-Jahre entwickelte der an der University of Massachusetts ein achtwöchiges medizinesch Programm mit dem Namen MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction). Das Programm baut auf den Übungen der buddhistischen Achstamkeitspraxis und den Erkenntnissen von Verhaltensmedizin und modernen Neurowisschenschaften auf.

    Im Zuge der wissenschaftlichen Erforschung dieses weltanschaulich neutralen Programms wurden die heilsamen körperlichen und psychischen Wirkungen der Achtsamkeitspraxis und der dazugehörigen meditativen Übungen bestätigt.

    Weiterführende Literatur:

    1. Detlief Beeker (2020): Meditation leicht gemacht: Wie du maximale Entspannung findest, Stress bewältigst und Ängste löst. Meditieren lernen mit 10 abwechslungsreichen Meditationen für mehr Energie
    2. Glück, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten – Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017
    3. Jon Kabat-Zinn, Horst Kappen (2013): Gesund durch Meditation: Das grosse Buch der Selbstheilung mit MBSR
    4. Jon Kabat-Zinn (2010): Die MBSR-Yogaübungen: Stressbewältigung durch Achtsamkeit; Kommentiertes Hörbuch
    5. Jon Kabat-Zinn, Reinhard Eichelbeck (2014): Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit, Hörbuch
    6. Jack Kornfield, Reinhard Eichelbeck (2015): Meditation für Anfänger: mit 6 geführten Audiomeditationen für Einsicht, innere Klarheit und Mitempfinden.
    7. Sarah Lehm (2017): Meditation lernen: So einfach verschaffen Sie sich mehr Ausgeglichenheit, Gelassenheit und Energie für den Alltag
    8. Sebastian Purps-Pardigol (2016): Führen mit Hirn: Mitarbeiter begeistern und Unternehmenserfolg steigern
    9. Chade-Meng Tan, Andrea Panster (2012): Search Inside Yourself: Das etwas andere Glücks-Coaching
  • Den guten Dingen auf der  Spur …

    Den guten Dingen auf der Spur …

    Aufbau mentaler Widerstandskraft.

    Wir denken – gerade im Kontext der Arbeit – viel öfter darüber nach, was falsch und schlecht läuft, wo wir uns verbessern könnten oder vielleicht sogar sollten. Wir sehen überall Defizite und vergleichen uns gerne mit denen, die besser sind.

    Und wir berücksichtigen bei dieser Betrachtung nicht, dass sie schon zehn Jahre mehr Erfahrung bei genau dieser Sache oder dieser Aufgabe haben.

    Natürlich ist es sinnvoll, seine Fehler zu analysieren und zu schauen, wie es beim nächsten Mal besser geht („Fehler“ sind gleichzeitig auch „Helfer“). Allein die Dosis macht das Gift (frei nach Paracelsus).

    Es gibt Menschen, die eher „das halb volle Glas“ sehen und sich über viele kleine Dinge freuen können und auch andere, die sich immer wieder auf „das halb leere Glas“ beziehen, darüber nachdenken, sich darüber ärgern, sich darüber beschweren oder traurig sind.

    Irgendwann ist es genug mit dem Vertiefen in Fehler, Probleme und die schlechten Dinge im Leben. Zu viel ist Gift und kann zu Angstzuständen und Depression führen.

    Um sich nicht den Kopf über die Frage „Was ist denn zu viel?“ zu zerbrechen, sondern dieser auf das Negative fokussierenden Tendenz unseres Gehirns etwas entgegenzusetzen, gibt es eine wunderbare Übung, die sich genau mit dem beschäftigt, was gut läuft.

    Martin Seligman1 entwickelte diese Übung im Rahmen seiner Positiven Psychologie. Es geht dabei darum, dass Sie täglich vor dem Zubettgehen 10 Minuten dafür reservieren, vier Fragen zu reflektieren und kurze Stichworte dazu zu dokumentieren. Das Aufschreiben ist dabei sehr wichtig.

    Die 4 Evening-Questions lauten:

    1. Was hat mir heute Freude bereitet? Und warum? Nennen Sie 3 Dinge bzw. Ereignisse
    2. Wo habe ich mich heute lebendig gefühlt?
    3. Wofür und wem kann ich heute dankbar sein?
    4. Welche Stärken konnte ich heute ausleben?

    Zur Wirkung der 4-Evening-Questions

    Die Wirkung einer positiven Tagesrückschau als Technik der Positiven Psychologie ist mehrfach belegt. Z.B. zeigt eine qualitative Studie von Markus Ebner2 anhand einer Stichprobe von 74 Personen, welche Erfahrungen Menschen bei dieser Übung machen. Dazu wurden die Studienteilnehmer/innen angeleitet, über einen Zeitraum von zwei Wochen jeden Abend ihren Tag anhand der 4-Evening-Questions zu reflektieren. Anschließend wurden die individuellen Erfahrungen erhoben und qualitativ ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Übung

    • zu einer Sensibilisierung der Wahrnehmung sowie
    • zu einer Veränderung der Wahrnehmung von Alltagssituationen und einer daraus folgenden Änderung der Interpretationen von Situationen und Handlungen führt.
    • Wertigkeiten werden klarer.
    • Viele Teilnehmer/innen berichteten in diesem Zusammenhang, dass die Gegenwart anders „gescannt“ wurde und sie daraus resultierend mehr Positives wie Wertschätzung, Erkennen von Stärken oder Dankbarkeit erlebten, was wiederum zu Verhaltensänderungen führte. Somit hatten sie ein Werkzeug, um direkt in den Kreislauf der selbsterfüllenden Prophezeiung3 einzugreifen und die Eigenkompetenz zur Selbststeuerung zu erleben.

    Die Ergebnisse machen deutlich, dass diese Technik in vielen Fällen ein Pull-Verhalten („hin zu“), also ein gezieltes Aufsuchen von stärkenden Situationen auslöst.

    Gleichzeitig berichten viele Teilnehmer/innen von einem Push-Verhalten („weg von“), indem unangenehme Situationen bewusster dahingehend reflektiert wurden, ob und wie sie vermeidbar sind. Somit kommt es zu einer Aufwärtsspirale: Es werden vermehrt positive und stärkende Beobachtungen gemacht, diese führen zu einer Veränderung der Wahrnehmung und zu einem für die Person günstigen Push- bzw. Pull-Verhalten. Menschen erkennen dadurch einerseits ihre eigenen Lebensgestaltungsmöglichkeiten und erleben dadurch andererseits vermehrt positive Situationen.

    Das führt wiederum zu vermehrten positiven und stärkenden Beobachtungen.

    Ich kann die Übung wärmstens empfehlen und wünsche Ihnen gutes Gelingen und Freude damit. Bitte melden Sie sich, wenn Sie die detaillierte Beschreibung der gesamten Übung nutzen wollen. Wir werden Sie Ihnen umgehend zukommen lassen.

    Quellen:

    1. vgl. Seligman, M.E. (2012): Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die positive Psychologie des gelingenden Lebens. München, Kösel-Verlag. Vgl. auch: Ebner, M. (2017): 4-Evening-Questions: eine einfache Technik mit tiefgreifender Wirkung. Eine qualitative Studie in OSC Springer 2017(3), S. 269 – 282.
    2. vgl. Ebner, M. (2017): 4-Evenig-Questions: eine einfache Technik mit tiefgreifender Wirkung. Eine qualitative Studie in OSC Springer 2017(3), S. 278 f.
    3. vgl. Watzlawick, P. (1984): Self-fulfilling prophecies. In J. O’Brien (Hrsg.), The production of reality: essays and readings on social interaction (S. 392 – 408). Los Angeles, SAGE.
  • Faszination Gehirn: Unser Gedächtnis

    Faszination Gehirn: Unser Gedächtnis

    Der US-Gedächtnisforscher Donald Thompson soll eine Frau angegriffen und verletzt haben. Dank ihrer genauen Täterbeschreibung kommt die Polizei schnell auf seine Spur. Nur hat er das beste Alibi überhaupt …

  • Multitasking – Fluch oder Segen

    Multitasking – Fluch oder Segen

    Schon bei Kindern lässt sich beobachten: Der Mensch liebt Herausforderungen, allerdings nur dann, wenn sie sich bewältigen lassen. Eine schwierige Aufgabe gelöst zu haben macht stolz und führt zu Anerkennung.

  • Wie Menschen aufblühen

    Martin Seligmann beschreibt in seinem Buch „Flourish“ ein Modell des Wohlbefindens und des Aufblühens. Wenn wir uns wohlfühlen, sind wir produktiv und es gelingt uns, mit den Menschen um uns sinnvolle Beziehungen aufzubauen.