Kategorie: Strategie

  • Intelligentes Zusammenspiel

    Intelligentes Zusammenspiel

    In Zukunft sind wir die ‚Natürliche Intelligenz‘ neben der Künstlichen. Das ist ein Unterschied, den wir verstehen, feiern und für uns nutzen sollten, findet die Trendforscherin Birgit Gebhardt.

    Momentan dreht sich alles um die Künstliche Intelligenz und wo man sie überall einsetzen kann: In Produktion und Fertigung, Handel und Logistik, in Energieversorgung wie Finanzdienstleistungen, in der Verwaltung, im Gesundheitswesen, Entertainment zur Qualitätssicherung, Einhaltung von Regularien und zur Sicherheit. Ob als Chatbot oder Roboter, ob in der Maschine, im Smartphone oder im Videogame: Künstliche Intelligenz kommuniziert, erkennt, berechnet und analysiert vieles, was vorher zum Tätigkeitsspektrum von Wissensarbeit gehörte. Das erleichtert und beschleunigt vieles, aber es stellt auch die Frage in den Raum, was uns Menschen zu tun bleibt und wie sich unsere geistigen Tätigkeiten verändern werden.

    Versuchen wir zunächst einmal, uns diese neue smarte Welt vorzustellen: Hier werden Aussagen verstanden, eine Nachfrage findet globale Angebote, Fachwissen ist überall verfügbar, Bots fassen Gespräche zusammen, Avatare im Metaverse versprechen Identitäten ohne Diskriminierungen, soziale Medien verbinden Interessen, Smart Watches monitoren unsere Work-Life-Balance und personalisierte Chatbots organisieren alltägliche Erledigungen – sofern wir sie damit beauftragen.

    Schnell wird klar: Die Vorteile liegen in der vernetzten Kommunikation, zwischen Menschen, Medien und Maschinen. Mit künstlicher Intelligenz automatisieren wir die Abwicklungsprozesse in den Backoffices, vernetzen kundenorientiert Middle- mit Frontdesk und setzen sie als gesprächiges Interface zwischen uns und unsere Umgebung. Damit schaffen wir eine Welt, in der alles miteinander sprechen kann – und wir dafür sorgen müssen, dass es auch richtig verstanden wird.

    Insofern scheint es vollkommen richtig, dass wir uns stärker dem kritischen Denken und Hinterfragen widmen, dass wir über unsere natürliche Intelligenz das Gespür für die Situation und über unsere Erfahrungen das Verständnis für den Kontext mit einfliessen lassen. Zum einen verlangt das nach einem breiteren humanistischen Bildungssockel, der uns ähnlich wie in einem Studium Generale mit vielen Sachverhalten, Zusammenhängen und neuen Perspektiven bekannt macht, wenn sich zum Beispiel MINT-Fachrichtungen mit Geisteswissenschaften kombinieren lassen oder die Lerngruppen divers und aus mehreren Kulturkreisen zusammengesetzt sind.

    Zum anderen benötigen wir neue Übungsmöglichkeiten, die unsere Wahrnehmung, Reaktionsschnelligkeit und Anpassung trainieren, denn das besagte Gespür für Menschen, Situationen und Veränderungen ist der Grundstock unserer natürlichen Intelligenz, – in unserem Sozialverhalten wie im Überlebenstrieb.

    Paläontologen vermuten, dass sich die natürliche Intelligenz des Menschen aus der Interaktion mit seiner direkten Umgebung ergeben hat, die ihn mal ernähren und mal bedrohen konnte, und dass wir diese Merkmale bis heute in unserem evolutionären Gedächtnis tragen. Auch wir betreiben also Mustererkennung, und in unserem Gehirn und Gedächtnis sogar noch komplexer als die KI, denn jeder Input, jede Wahrnehmung, wird unmittelbar mit der erinnerten Gefühls- und Erfahrungswelt abgeglichen.

    Psychologen wissen, dass wir Menschen zu rein rationalen Analysen gar nicht fähig sind, sondern immer interpretieren und unwillkürlich bewerten. Nicht selten umschiffen wir Wissenslücken mit Emotionen, über intuitives Verhalten, suchen Antworten in der Gruppe oder Beispiele und Gleichnisse in der Umgebung – und genau diese Kombination aus Erkennen, Erspüren und Bewerten in permanenter Wechselwirkung mit unserem Umfeld macht unsere natürliche Intelligenz aus.

    Es geht also um die Interaktion zwischen allen Beteiligten und in allen erdenklichen Formen des Wissens- und Erfahrungsaustauschs. Denn die erlebte Interaktion ist die fruchtbarste Lernstufe. Hier lässt sich – bestenfalls im Anwendungskontext – Neues erproben und einüben. Erst in der gemeinsamen Interaktion zeigt sich, was aus dem passiven Empfangen von Instruktionen und dem aktiven Suchen nach Informationen wirklich hängengeblieben und relevant für die aktuelle Fragestellung ist.

    Wenn es also die Interaktion mit der Umgebung oder der Gruppe war, die uns vor Millionen Jahren intelligent werden ließ, weil wir Werkzeuge erschufen, um den Herausforderungen unserer Umgebung zu begegnen, dann dürfen wir die KI genau so verstehen – als Werkzeug, das uns helfen kann, jetzt die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen.

    Birgit Gebhardt ist Trendforscherin und berät Unternehmen zur Zukunft der Arbeitswelt.
    birgit-gebhardt.com

    Illustrationen: Signorinah
    Einen Kurzfilm zur Arbeitswelt der Zukunft finden Sie unter diesem Link.
  • Eindrücke Kongress Tomorrwmind

    Eindrücke Kongress Tomorrwmind

    Was wäre, wenn wir damit aufhören würden, Menschen passend zu machen? 1)

    10. bis 12. November 2023 in Wien

    Ich konnte mich in diesen drei Tagen davon überzeugen, wie sich die „Positive Psychologie“ weiterentwickelt und wie eindrucksvoll sie bereits in die Praxis Einzug gehalten hat. Ich denke dabei vor allem an das von Martin Seligmann entwickelte P-E-R-M-A-Modell, das unter dem Namen PERMA-Lead in der Führungspraxis vieler österreichischer Unternehmen bereits erfolgreich zur Anwendung kommt. Markus Ebner nannte in seinem Vortrag 28 davon.2)

    Im Buch „Flourish“ stellte der amerikanische Psychologe Martin Seligman1) 2011 mit dem PERMA-Modell seine neue Theorie des Wohlbefindens vor. Er definierte die fünf Merkmale „Positive Emotions“(P), „Engagement“ (E), „Relationships“ (R), „Meaning“ (M) und “Accomplishment“ (A), als Grundlage für das Aufblühen von Menschen. Er wählte damit messbare und beeinflussbare Faktoren als Basis für ein gelingendes Leben und ermöglichte, dass die entsprechende Forschung systematisiert werden konnte.

    Markus Ebner entwickelte daraus das PERMA-Lead®-Modell2), das Positive Leadership-Führungs-verhalten beschreibt. Es zielt darauf ab, dass die Führungskraft aktiv für ein Arbeitsklima sorgt, das die Potenzialentfaltung bei den Mitarbeitenden fördert. Dieser Führungsstil erkennt und nützt die individuellen Stärken der Mitarbeitenden, anstatt überwiegend Schwächen in den Vordergrund zu stellen.

    Dadurch kommt es zu einer Win-Win-Situation: Das Unternehmen profitiert gleichermassen wie Führungskräfte und Mitarbeitende. Es handelt sich daher um einen Führungsstil, bei dem es darum geht, den heutigen Anforderungen in Organisationen nicht nur gerecht zu werden, sondern an ihnen zu wachsen und sich sowie seine Mitarbeitenden weiterzuentwickeln.

    M. Ebner: Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag, 11.11.2023 in Wien

    Positive Emotionen3)

    Hier geht es darum, wie sehr Führungskräfte aktiv positive Emotionen bei ihren Mitarbeitenden fördern.

    Positive Emotionen stärken. Sie unterstützen dabei, Problemdenken zu vermindern und erhöhen massgeblich die Lösungsorientierung. Sie erweitern die Wahrnehmung, führen zu einem besseren Aufbau von Ressourcen, erhöhen die Arbeitsleistung und verbessern das Arbeitsklima in Teams. Positive Emotionen bei Mitarbeitenden wirken sich nachweislich auf die Loyalität der Kunden und Kundinnen aus. Zahlreiche Studien zeigen, dass positive Emotionen einen messbaren stärkenden Einfluss auf das Immunsystem haben und somit gesundheitsförderlich sind.

    Was tragen Sie dazu bei, dass Ihre Mitarbeitenden sich am Arbeitsplatz wohlfühlen, zufrieden sind und auch Spass bei der Arbeit haben?

    Engagement

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr Führungskräfte individuelles Engagement bei ihren Mitarbeitenden fördern. Im Detail geht es darum, wie sie ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, eigene Fähigkeiten zu erkennen, bei der Verteilung der Aufgaben die individuellen Stärken der Mitarbeitenden berücksichtigen und ihnen helfen, ihre Stärken weiter auszubauen.

    Mitarbeitende, die erleben, dass ihre Stärken wahrgenommen und eingebracht werden können, bleiben mit grösserer Wahrscheinlichkeit im Unternehmen, sind signifikant motivierter, machen ihre Kundinnen und Kunden zufriedener, zeigen weniger unternehmensschädigendes Verhalten, engagieren sich überdurchschnittlich und sind generell mit ihrem Leben zufriedener. Stärkenorientierung ist eine der wesentlichen Elemente von Positive Leadership.

    Wie fördern Sie das individuelle Engagement Ihrer Mitarbeitenden?

    Relationships (Tragfähige Beziehungen)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskraft für tragfähige Beziehungen innerhalb des Teams sorgt. Im Detail geht es darum, wie sehr sie darauf achtet, dass sich die Mitarbeitenden gegenseitig unterstützen, wertschätzend miteinander umgehen und was sie dazu beiträgt, dass sich jede/r als Teil des Teams erlebt.

    Die Beziehungsqualität innerhalb eines Arbeitsteams hat unzählige positive bzw. negative Auswirkungen. So wird bei positiven Beziehungen beispielsweise verstärkt kooperatives Verhalten sichtbar und es werden auch mehr Informationen geteilt, was den Teamerfolg massgeblich beeinflusst. Die Fähigkeit, selbstständig Probleme zu lösen, steigt.

    Die Mitarbeitenden können sich in ihrer Freizeit besser erholen. Zudem ist auch die Resilienz der einzelnen Teammitglieder ausgeprägter.

    Wie sorgen Sie für tragfähige Beziehungen in Ihrem Unternehmen?

    Meaning (Sinn in der Arbeit)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskräfte dazu beitragen, dass ihre Mitarbeitenden ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Im Detail geht es darum, wie sehr sie ihren Mitarbeitenden vermitteln, dass sie wertvolle Arbeit leisten, Sinn in ihrer Arbeit erleben und auch wissen, wie wichtig ihre Arbeit für das Unternehmen bzw. die Abteilung ist.

    Wenn die Arbeit als sinnvoll erlebt wird, hat das zahlreiche positive Auswirkungen. Das Engagement und die Leistung steigen dadurch signifikant, die Qualität der Arbeit erhöht sich und die Arbeitsbedingungen werden von den Mitarbeitenden besser bewertet. Zudem werden positive Emotionen verstärkt, die Motivation ist höher und das Stresserleben sowie die Wahrscheinlichkeit an einer Depression zu erkranken sinken messbar.

    Was tragen Sie dazu bei, dass Ihre Mitarbeitenden ihre Arbeit als sinnvoll erleben?

    Accomplishment (Macht erreichtes sichtbar)

    Diese Dimension beschreibt, wie sehr die Führungskräfte sichtbar machen, wenn etwas erreicht wurde. Es geht darum, wie oft sie ihren Mitarbeitenden positives Feedback geben, sie loben und sich mit ihnen freuen, wenn ein (Teil-)Ziel erreicht wurde.

    Die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was erreicht wurde, ist ein zentrales Führungsverhalten von Positive Leadership. Es wirkt sich positiv auf die Selbstwahrnehmung aus, was wiederum dazu führt, dass sich Leistung und Gesundheit der Mitarbeitenden verbessern, die Fluktuation sinkt und das Durchhaltevermögen steigt. Weiters erhöht sich die Lernfähigkeit sowie die Arbeitszufriedenheit und sogar die generelle Lebenseinstellung wird optimistischer. Dieser Blickwinkel stärkt nachweislich die Einschätzung der Mitarbeitenden, auch zukünftigen Aufgaben gewachsen zu sein.

    Wie oft und auf welche Weise machen Sie sichtbar, dass etwas von Ihnen oder Ihren Mitarbeitenden erreicht wurde?

    Zahlreiche Studien belegen die Positive Wirkung dieses Führungsstils.

    Hier einige Beispiele:

    Auswirkung von PERMA in Teams auf den Verkauf

    M. Ebner: Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag, 11.11.2023, Wien
    Diese Studie zeigt, wie sehr die Verkaufsmenge bei Positivem Leadership-Verhalten steigt.

    PERMA-Lead und Fluktuation

    Diese Studie zeigt, dass die Fluktuation drastisch sinkt, je mehr Positive Leadership in der Organisation gelebt wird.

    Quellen

    1. Den Seligmann, M.E.P. (2011): Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens
    2. Ebner, M. (2023): Mit Positive Leadership in die Zukunft Führen! Vortrag am Kongress Tomorrowmind, 11.11.2023, Wien
    3. Nach: Ebner-Team GmbH, PERMA-Lead 360° Feedback, 2022
  • NEW WORK: Das Büro als menschenzentrierte Lernwelt – Die verpasste Chance?

    NEW WORK: Das Büro als menschenzentrierte Lernwelt – Die verpasste Chance?

    Wer sich wundert, warum sich die Angestellten ins Homeoffice zurückziehen, hat das eigentliche Potenzial professioneller Arbeitswelten vielleicht noch gar nicht erkannt. Wir sollten uns mehr auf die User-Experience konzentrieren und das Büro endlich in eine menschenzentrierte Lernwelt verwandeln.

    Man könnte denken, Organisationen seien auf dem richtigen Weg: Gerade erst wurde die Arbeitsorganisation transformiert: Zusammenarbeit sollte dynamisch und transdisziplinär in Projektteams erfolgen. Damit Prozesse agiler vonstattengehen konnten, wurden die Büros flexibilisiert: auf offenen Bürolandschaften sollte alles möglich sein, – vor allem Kommunikation und Wissensaustausch. Doch jetzt – da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt ihren Homeoffice-Wunsch äussern, stellt sich eine provokante Frage wie von selbst: Wurden die Arbeitskräfte bei diesen Planspielen vergessen?

    Eher nicht in Bezug auf agile Methoden und Befähigung zur Selbstorganisation. Vernachlässigt wurde vielmehr die Frage, inwiefern die räumliche Gestaltung einen spürbaren Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer leisten kann. Denn eigentlich könnte sie das.

    Wurde dem Arbeitsraum zu wenig zugetraut? Definitiv ja, und ich vermute aus mehreren Gründen:

    1. Jeder nutzt Raum für seine eigenen Zwecke.

    Die Mitarbeitenden tun es, die Personalentwicklung tut es und das Corporate Real Estate tut es auch.

    Bei den Mitarbeitenden scheint sich eine neue Faustregel abzuzeichnen: Je selbstorganisierter, qualifizierter und freier in der Wahl des Arbeitsortes, umso seltener findet man diese Personen im Büro. Das Bild bestätigen insbesondere IT-ler, die schon vor der Pandemie viel mobil gearbeitet haben und als die Pioniere der agilen Transformation gelten. Nun sind es leider ausgerechnet diejenigen, die am schwersten zu gewinnen und zu halten sind, die sich physisch vom Büro entfernen.

    Die Personalentwicklung kann sich also vorstellen, was deren Selbstbestimmung für die Führung, das Anlernen und die Zusammenarbeit im Büro bedeutet. Wie lange sind die persönlichen oder dem Team zugeordneten Arbeitsbereiche, – sogenannte ‚Home-Zones’ – noch zentrale Anlaufstelle in den Büros, wenn die auch die eigene Home-Zone bei der Familie zuhause oder am Urlaubsort bei Freunden frequentiert werden kann?

    Das Real Estate quält die neue Unplanbarkeit der Belegungsdichte. Nachhaltigkeitsauflagen scheinen leichter umsetzbar als die Abstimmung von Auslastung mit Bewirtschaftung.  Faustformel hier: In grösseren Unternehmen wird etwa ein Drittel abgemietet und Desk-Sharing eingeführt oder die bereits existente Sharingquote angehoben. Smarte Buchungssysteme übertagen den Angestellten die Aufgabe, sich mit dem verfügbaren Platz zu arrangieren. Ein Argument, um ins Büro zu kommen, ist das nicht. Im Gegenteil: die Mitarbeitenden können sich ihres Arbeitsplatzes zuhause sicherer sein als im Büro.

    Haben Real Estate und Personalentwicklung überhaupt gemeinsame Lösungsansätze, um den Bürobesuch wieder attraktiv zu machen? Oder geht es bei den Massnahmen, die derzeit in vielen Unternehmen getroffen werden, eher um die gebaute Effizienz der Organisation? Dann hätte unter dem Stichwort ‚agile Transformation’ am Ende doch nur jeder für sich selbst gebaut: Das Corporate Real Estate für eine optimierte Flächenbewirtschaftung und das HR für eine verschlankte Personalwirtschaft.

    2. Wir operieren vernetzt, aber haben nichts verstanden.

    Was soll nun auf den agilen Flächen passieren, wenn die Arbeit, ihre Inhalte und Medienwerkzeuge buchstäblich zum Menschen wandern, und man sich auch zuhause, in der Innenstadt oder auf dem Land zum gemeinsamen Co-Working treffen kann? Oder wenn wir uns gar nicht mehr treffen müssen, um zusammenzuarbeiten? Wo heute Meetings vom Konferenztisch auf den Monitor und Workshops auf das Miroboard wandern, schlagen wir gemeinsam die Transformationsrolle rückwärts und finden uns alle wieder am Bildschirmarbeitsplatz. Wie erfolgreich war dann die Vermittlung der agilen Zusammenarbeit für die Nutzer? Und wie erfolgreich für das Büro?

    Die hybride Zusammenarbeit führt es uns vor Augen: Medien erweitern unser Kommunikationsspektrum, doch uns fehlt die Didaktik, um sie auf unser natürliches Lernverhalten zu übersetzen. Glauben wir ernsthaft, es macht keinen Unterschied, ob man sich real oder per Namenskürzel auf Kacheln sieht? Automatisch fixieren wir den Bildschirm, glauben, er tauge für jede Arbeit, obwohl diese fokussierte Haltung kreative Ideengenerierung erschwert. Wir differenzieren nicht in unserer Arbeitsabsicht, fügen uns (ergonomisch) den Geräteanforderungen und verfehlen damit die eigentliche Aufgabe: unsere zwischenmenschliche Interaktion auch menschengerecht zu gestalten.

    Am Ende können wir nur die Arbeitsumgebungen bauen, die wir uns vorzustellen vermögen. Wenn wir so weitermachen, wird es nicht viel mehr sein, als ein Gamingsessel, aus dem wir in ein fades Metaverse starten.

    Dabei hat die Digitalisierung uns nicht nur vor komplexe Herausforderungen gestellt, sondern die Lösungswerkzeuge gleich mitgebracht: Technologisch wie methodisch können wir vom Bildschirmarbeitsplatz aufstehen und uns einander zuwenden. Unter dem Stichwort ‚aktivitätsbasiertes Arbeiten’ gibt es neue Möbel und Medien, die uns in unserer Tätigkeitsausübung ergonomisch-funktional unterstützen wollen. Doch funktional reicht nicht, um Menschen in eine andere Arbeitsverfassung zu bringen. Wer Raum als Führungsinstrument nutzen will, sollte nicht nur die Infrastruktur, sondern den Menschen im Auge haben. Wir sind sinnliche Wesen, keine Maschinen.

    3. In der sinnlichen Wahrnehmung liegt unser Vorteil.

    Psychologie, Verhaltens- und Hirnforschung bestätigen, wie stark die weichen, physiologischen und emotionalen Faktoren unsere Denk- und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Biologen haben bewiesen, dass unser Körper permanent mit der Aussenwelt kommuniziert, die wiederum unseren Metabolismus wie Hormonhaushalt beeinflusst – und damit unsere (Arbeits-)Verfassung, Stimmung und Gefühlswelt. Wenn wir uns also permanent im Hier & Jetzt verorten, sollte uns das Anregung und Argument genug sein, die reale Umwelt stimulierender zu gestalten.

    Wir kommunizieren unweigerlich mit Räumen, spüren ihre Wirkung auf uns, passen uns an oder beginnen in ihnen zu handeln. Der kognitive Neurologe Colin G. Ellard vertritt die These, dass Gebäude in uns Anpassungsbestrebungen auslösen, und verweist auf unsere Spiegelneuronen zur Empathiefähigkeit, wenn wir Freude oder Leid im Gesicht einer Person nachempfinden. Es kann also auch ein wertschätzender Raum zum Gefühl des Wertgeschätztseins beitragen. Und es muss uns nicht wundern, dass uns im typischen 3-Bund-Büro nicht das Herz aufgeht, wenn wir raumbildend so unter unseren Möglichkeiten bleiben.

    Wenn also wir Menschen von Natur aus geneigt sind, mit unserer Umgebung zu assimilieren und in der Wahl dieser Räume mehr Freiheiten haben, werden Mitarbeitende den Raum aufsuchen, in dem sie sich den grössten Support, funktional wie emotional, erhoffen. Bietet die Lernwelt (und die in ihr Agierenden) schon ein assoziatives Abbild der Lernverfassung oder Arbeitshaltung, die der Neuankömmling einnehmen will, fällt ihm der Switch in die Arbeits- oder Gesprächshaltung leichter. Vor allem in flexiblen Strukturen und bei einer freien Entscheidung, wie und wo man arbeiten möchte, werden Vorbilder, Rituale und Symbolik zu wichtigen Mustern, um sich selbst effizienter zu orientieren und zu organisieren.

    4. Das Büro als Bühne zur Selbsterprobung

    Der Fokus Raum bedient zwei Servicegedanken, die das Büro als Lernwelt zusammenfassen könnte: den Kommunikationsraum, der Zeiten und Realitäten überwindet. Und den physischen Begegnungsraum, in dem Menschen ihre Grenzen untereinander überwinden. Jede dieser Richtungen nimmt uns mit auf eine User-Experience. Die Chance für das Büro wäre nun beide Realitäten als Blended Learning wie auf einer Bühne erlebbar zu machen: So wie heute jede digitale Karte die Welt um den Standpunkt des Individuums aufbaut, so ähnlich müssen wir uns die künftige Erwartung an die Arbeitswelt vorstellen: ‚Die Möglichkeiten zu Füssen gelegt, und das Geländer zur Zielerreichung hier im Angebot!’

    Wo die Transformation verlangt, dass wir uns permanent in neuen Rollen ausprobieren, findet sich mit der Probebühne der Resonanzraum, um sich gemeinsam an Neues heranzuwagen. Die Bühne schafft Flexibilität und Sichtbarkeit: Sie ermuntert zu „freien Stücken“, indem sie die Akteure ins Licht setzt.

    Die Chance dieser Lernwelt liegt in der multisensorischen User-Experience, als besonderer Lernerfahrung und ihrem Narrativ, das Teil der Unternehmenskultur sein könnte. Das Büro ist hier im Vorteil: Je mehr Sinne adressiert werden, umso reicher der Eindruck. Je positiver sie angeregt werden, umso nachhaltiger die (Lern-)Erfahrung. Erst dann funktioniert Raum als Befähiger, Vermittler und Verwandler.

    Quelle

    1. Den ungekürzten Artikel „Die verpasste Chance der Lernwelt“ verfasste Birgit Gebhardt für das Personalmagazin plus: Arbeitswelten 10/22
  • Die Familie als Geheimnis langlebiger Familienunternehmen

    Die Familie als Geheimnis langlebiger Familienunternehmen

    Was macht langlebige Familienunternehmen erfolgreich? Bei aller Heterogenität der Familienunternehmen zeigen sich Muster und Kompetenzen, die Langlebigkeit befördern. Der amerikanische Forscher Dennis T. Jaffe hat weltweit 100 Unternehmerfamilien analysiert, die seit mindestens 100 Jahren „Familienunternehmertum“ praktizieren.1)

    Zusammenarbeit als Unternehmerfamilie

    Die Erfolgsschlüssel sind die Unternehmerfamilie und ihre Verfasstheit. Die teilweise dynastischen Familienverbünde verfügen neben ihrer hohen Professionalität über eine bestimmte „Familiarität“: Es braucht ein gutes Mass an Familien- bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn sie sich nicht als einen „Investorenclub mit gemeinsamen Vorfahren“ verstehen wollen. Diese besondere Zusammenarbeit der Familie, die langfristig nachhaltige Ausrichtung („Enkeltauglichkeit“), die Weitergabe gemeinsamer Werte an nachfolgende Generationen sowie gesellschaftliches Engagement beschreiben die Intelligenz langlebiger Familienunternehmen.

    Jaffe hat seine Erkenntnisse in „Acht Weisheiten langlebiger Familienunternehmen“ zusammengefasst. Sie lauten:

    1. Aufbau und Erhalt einer „stabilen“ Großfamilie.

    Die Zusammenarbeit und das Zusammenspiel im Familienverbund funktionieren. Dynastische Unternehmerfamilien sehen die Bedeutung tiefer, persönlicher Beziehungen und investieren in regelmäßige Familientreffen und -versammlungen. Die Geschichte der Familie wird immer wieder erzählt. Das intellektuelle Erbe wird an die nächsten Generationen weitergegeben.

    2. Wertekanon als Rahmen für Kultur und Zielsetzung.

    Werte stellen das nicht-finanzielle Familienkapital der Unternehmerfamilie dar. Sie sind die zentralen Leitlinien für das Handeln. Die Werte müssen immer wieder geteilt werden, um der Zersplitterungsdynamik bei beispielsweise mehreren Kernfamilien erfolgreich entgegenwirken zu können.

    3. Kulturwandel von Paternalismus zu Partnerschaft.

    Kontrolle, Vertrauen, Transparenz sind auch in Familienverbünden anspruchsvolle Dimensionen. Im Übergang von der ersten zur zweiten, dritten usw. Generation spielt die Entwicklung der Kultur der Unternehmerfamilien eine wichtige Rolle – von einer fürsorglichen, paternalistischen, eher intransparenten in früheren Generationen zu einer transparenten und kooperativen Kultur heute.

    4. Trennung der Governance von Familie und Unternehmen.

    Beide Systeme Familie und Unternehmen benötigen bewusste Steuerung und Leitung: Familiy Governance und Corporate Governance sind dabei voneinander zu trennen. Strukturell hilft oft die Einrichtung eines Familienrates als Steuerungsgremium der Familie.

    5. Weiterentwicklung und Erneuerung des Eigentumsportfolios.

    Unternehmerfamilien entscheiden sich oft, einen Großteil ihres Vermögens im Unternehmen zu belassen und zu investieren. Dabei verharren sie nicht im Routinierten und Althergebrachten, sondern es gelingt ihnen, sich auf Innovationen und neue Geschäftsfelder einzulassen und zu differenzieren.

    6. Aktive, generationsübergreifende Stakeholder-Allianz.

    Jaffe beschreibt drei Gruppen, die sich in erfolgreichen Unternehmerfamilien konstruktiv, kollaborativ und wertebasiert begegnen:

    • Die Älteren, die das Vermächtnis und die Tradition gut im Blick haben.
    • Die heranwachsende Generation, die für neue Werte und Innovationsbereitschaft eintreten.
    • Die „Professionals“, die besondere Kompetenzen und Expertise in die Diskussion einbringen. Hier finden sich oft familienexterne Führungskräfte und Berater*innen.

    7. Befähigte und motivierte Nachfolgegeneration.

    Das wichtigste „Produkt“ einer starken Unternehmerfamilie ist die nachfolgende Generation. Das ist ein zentrales Anliegen der Familie. Investiert wird in die Aus- und Weiterbildung der Jungen. Wiederkehrend wichtige Werte sind Grosszügigkeit, Respekt, Arbeitsmoral, Selbstwertgefühl, betriebswirtschaftliches Know-How, Verantwortung für Reichtum und Sparsamkeit.

    8. Zusammenarbeit, um die Welt besser zu machen.

    Dynastische Unternehmerfamilien stellen sich der Frage, welche Auswirkungen ihr Vermögen auf die Welt hat und wofür sie es verwenden wollen. Das diesbezüglich soziale Engagement wirkt identitätsstiftend. Familienintern dient es dazu, eine Einheit über Generationen hinweg aufrechtzuerhalten.

    Das Hauptmerkmal liegt im zukunftsorientierten Selbstmanagement der Unternehmerfamilie. Die Intelligenz dieser Familienunternehmen zeigt sich in ihrer Fähigkeit, als Familienverbund nachhaltige, „enkelfähige“ Ansätze zu entwickeln.

    Quelle

    1. Dennis T. Jaffe: Die acht Weisheiten langlebiger Familienunternehmen, 2021 Witten; erschienen im: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Universität Witten/Herdecke (vgl. www.wifu.de)

  • Handlungsanleitung für  Zukunftsgestalter*innen

    Handlungsanleitung für Zukunftsgestalter*innen

    Welche Koordinaten verwenden wir beim Steuern von Organisationen und Abteilungen? Da für die Zukunft nicht alles eindeutig vorhersagbar ist, brauchen wir immer wieder gute Orientierungen, um angemessen entscheiden zu können. Aus der Komplexitätsforschung kommen dazu einige hilfreiche Modelle. Sie dienen uns als nützliche  „Landkarten“ bei der Zukunftsgestaltung.

    Uns gefällt die hier beschriebene Übersicht gut, weil diese den Gestaltungswillen der Gestalter*innen als wichtiges Kriterium mit berücksichtigt. Entscheidend ist nicht nur, welches Vorgehen der Grad der Komplexität einer Aufgabe erfordert, sondern es geht auch darum, wie ausgeprägt der „Gestaltungswille“ von uns Handelnden ist.

    Wir wollen Ihnen hier eine kleine Handlungsanleitung liefern – was macht Sinn, um mit der Fülle der Aufgaben und Problemlagen vernünftig umzugehen. Dazu haben wir eine Darstellung aus der Welt von Effectuation und der Entrepreneurship-Forschung übernommen und leicht angepasst (vgl. Faschingbauer).

    in Anlehnung an Faschingbauer, nach Wiltbank et al., 2017

    Welcher Modus passt am besten zur vorliegenden Situation?

    Im ersten Feld „Planung“ finden sich Aufgabenstellungen, die klar vorhersehbar sind. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist offensichtlich. Eine gute Analyse hilft, die unterschiedlichen Varianten zu entwickeln, um zu entscheiden und in der Folge in die Umsetzung zu gehen. Es handelt sich um Probleme, die bekannt sind, für die es einfache und gute Lösungen gibt. Die Lösung des Problems verlangt vergleichsweise wenig Know-how. Wir verwenden oft gut eingeübte Routinen um damit umzugehen.

    Viele Herausforderungen, mit denen Sie als Führungskraft konfrontiert sind, fallen in diese Kategorie. Die Vorgehensweise lautet: analysieren, beurteilen und kategorisieren, handeln. Und genau das machen Sie oft: Als Führungskraft lassen Sie sich das Problem schildern, beurteilen es und reagieren darauf. Es gibt bekannte Abläufe und „gute Routinen“, an die Sie sich halten, um das Problem bestmöglich zu lösen.

    In den drei folgenden Feldern können keine eindeutigen Aussagen über den Zusammenhang von  Ursache und Wirkung gemacht werden – gegebenenfalls im Nachhinein. Teilweise wissen wir noch nicht mal, welche Fragen wir stellen müssen. Wir tappen im Ungewissen. Die Vorgehensweisen im Umgang mit der Ungewissheit sind andere als im „Planungs“-Feld.

    Das zweite Feld lautet „Vision“. Ein klares Bild von der Zukunft, die wir gestalten wollen, zu haben, ist eine wichtige Ressource und Orientierung. Menschen mit Visionen machen Eindruck. Es wirkt, wenn Sie die Zukunft nach Ihren Vorstellungen formen und gestalten. Dafür wird ein attraktives Zukunftsbild benötigt. Die Umsetzung braucht Mut und Ausdauer, oft auch Macht und/oder Kapital – Sie benötigen unter Umständen einen „langen Atem“, um ans Ziel zu kommen.

    Das nächste Feld ist „Anpassung“. Hier geht es darum, sich schnell neuen Situationen anzupassen und rasch zu lernen. Es gilt, sich fit für eine noch nicht bekannte Zukunft zu machen und zu bleiben. In der aktuellen Agilitätsdiskussion haben wir es mit diesem Feld zu tun: schnelle Rückkopplung durch den Kunden oder Anwender, Trial-and-Error, kurze Lernschleifen. Das erfordert Training. Es geht darum, in die eigene Fitness – als Unternehmen – zu investieren. Und es stellt sich die Frage nach dem richtigen Maß an Fitness: zu wenig trainiert, übertrainiert, die falschen Muskeln trainiert? Wieviel Training wird benötigt? Wieviel Prototyping, Tests und Experimente sind erforderlich? Wie viele „Bälle gilt es, in der Luft“ zu halten?

    Das vierte Feld ist „Co-Creation“. Damit wird die Fähigkeit beschrieben, zusammen mit anderen Stakeholdern (Kund*innen, Lieferanten, aber auch internen Expert*innen) Neues zu entwickeln. Wo sind die Partner*innen, mit denen wir uns zusammentun? Das Motto lautet, „die Zukunft gemeinsam auszuhandeln“. Das ist vielleicht da und dort aufwändiger, weil es Entscheidungsprozesse mit mehreren Beteiligten benötigt. Es bietet die Chance, zu neuen, noch nicht dagewesenen Lösungen und Ansätzen zu kommen.

    Prüfen Sie doch, in welches der Felder Ihre anstehenden Aufgaben und Entscheidungen am besten passen. Die Problemlage mit der entsprechenden Haltung und Vorgehensweise zu bearbeiten, kann Zeit „sparen“ und hilft der eigenen Ressourcensteuerung.

    Quelle

    Faschingbauer, Michael: Effectuation – Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, 3. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag 2017

  • Zwischen Hierarchie und Selbstorganisation

    Zwischen Hierarchie und Selbstorganisation

    Ein Klassiker! – Hierarchie und Selbstorganisation gehören zusammen. Aber derzeit ist vor allem Selbstorganisation in aller Munde. Die Anforderungen der Märkte und Kunden verlangen mehr Flexibilität und schnelleres Handeln. Die Digitalisierung erhöht Tempo, Transparenz und Individualisierung.

    Die Unternehmen mit ihren oft alten Strukturen können dem nicht mehr standhalten. Herkömmliche Organisationen erweisen sich als zu wenig anpassungsfähig. „Es muss sich jetzt deutlich etwas ändern. Wir brauchen eine „Enthierarchisierung“, die Hierarchie muss weg. Wenn die Menschen sich selbst organisieren, funktioniert das.“

    Soll jetzt Selbstorganisation als neues Allheilmittel herhalten?

    Was ist Selbstorganisation?

    Selbstorganisation ist, wenn aus Chaos Ordnung wird.

    Selbstorganisation ist, wenn Menschen Verantwortung übernehmen und handeln. Sie erkennen eine für sie wichtige Bedarfslage und ergreifen die Initiative. Aus der Interaktion erwachsen im Laufe der Zeit bestimmte Regeln für die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit. Aus Chaos, aus unübersichtlichen Situationen wird Ordnung: Es entwickeln sich stabile(re) Strukturen und Verhaltensmuster.

    Das kann man im öffentlichen Raum sehr gut beobachten. Zum Beispiel bei der Ankunft der Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof im Sommer 2015 entstand eine Struktur des Zusammenarbeitens „fast wie von selbst“. Das kann man in den Organisationen tagtäglich beobachten, wenn Mitarbeiter nicht definierte und „trotzdem“ sinnhafte Aufgaben von sich aus übernehmen.

    Ohne Selbstorganisation würden Unternehmen nicht reibungslos funktionieren.

    Selbstorganisation und „hierarchiefreier Raum“: Wie viel Hierarchie ist nötig?

    Hierarchie ist zunächst nichts Negatives. Sie hat den funktionalen Sinn, die Komplexität in den Organisationen zu reduzieren und für die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten usw. Orientierung herzustellen. Das kommt unserem Bedürfnis nach Klarheit und Ordnung entgegen. Wenn jetzt die Hierarchie abgeschafft wird, wird in kürzester Zeit (selbstorganisiert) eine neue, oft informelle Hierarchie entstehen: Wer sind die Erfahrenen, die Wissenden, die Kollegialen usw., denen wir uns zuwenden, an denen wir uns orientieren? Es wird wieder eine „Ordnung“ entstehen.

    Die zentrale Frage, um als gesamte Organisation flexibler und anpassungsfähiger werden zu können, ist nicht: Hierarchie ja oder nein, sondern welche Form (von Hierarchie) ergibt den besten Sinn für unser Business.

    Wie soll eine neue, flexiblere Ordnung aussehen? Wie sollen die Rahmenbedingungen für die z.B. in hohem Maße selbständigen, agilen Teams aussehen? – Und welche Kompetenzen kommen damit den unterschiedlichen Rollen zu, seien es die (verbleibenden) Führungskräfte oder Process Owner oder Scrum Master usw.?

    Selbstorganisation, Profitabilität und Wachstum

    Es braucht neue und andere Organisationsformen, die grundsätzlich auf Anpassungsfähigkeit und Agilität ausgerichtet sind. Diesbezüglich wird derzeit einiges angeboten und es wird viel experimentiert – und das ist gut so.

    Aber werden Agilität und Flexibilität ausreichen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Müssen alle Unternehmen nach dem Start-up-Modus funktionieren, um die Zukunft mitgestalten zu können?

    Es gibt eine sehr beachtenswerte Studie von Rita G. McGrath, die an der Columbia Business School arbeitet.1 Damit belegt sie die Bedeutung und das Potenzial von großen, erfolgreichen Unternehmen, die oft als „weniger agil“ gehandelt werden.

    McGraths Forschungsarbeit zeigt, dass große Unternehmen, die ihr Einkommen überproportional steigern, zwei Hauptmerkmale haben: „Auf der einen Seite sind Wachstumsunternehmen auf Innovation ausgerichtet, sie sind gut im Experimentieren und können sich auf die Schnelle bewegen. Auf der anderen Seite sind sie extrem stabil, die Strategie und Organisationsstruktur bleiben konsistent und die Kultur ist stark und unveränderlich.“

    Agilität braucht Stabilität.

    Für viele schließen sich Geschwindigkeit, Flexibilität, Innovation einerseits und Effizienz und kontrolliertes Risiko andererseits aus. Dem ist nicht so! Unternehmen, die sowohl schnell als auch stabil sind, haben eine mehr als dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, leistungsstark und profitabel zu sein, als solche, die schnell sind, aber keine stabilen Strukturen haben.2

    Agilität ist nicht mit Flexibilität gleichzusetzen. Das ist ein Trugschluss. Agile Organisationen sind zugleich flexibel und stabil.

    Um agil zu sein, muss geklärt werden, welche Teile des Organisationsdesigns stabil und unveränderlich sind und gleichzeitig gilt es, dynamischere Elemente zu schaffen, die sich schnell an neue Herausforderungen und Möglichkeiten anpassen lassen.

    Das führt in die derzeit aktuelle Ambidextrie-Diskussion: Organisationen müssen beide Betriebsmodi beherrschen – exploit and explore. Organisationen müssen gleichzeitig effizient und flexibel sein.

    Selbstorganisation braucht Kompetenzen, Fähigkeiten und ein „agiles Mindset“

    Die Diskussion wird oft nur auf der Strukturebene geführt: Welche neuen Organisationsformen gibt es? Was sind ihre Vorzüge und Nachteile? usw.

    Es geht natürlich auch sehr um die personalen Kompetenzen. Verstärkte Selbstorganisation und erhöhte Anpassungsfähigkeit einer Organisation verlangen bestimmte Qualifikationen und Fähigkeiten von den Mitarbeitenden.

    Menschen sind oft an individuelle Führung (von oben), Fremdorganisation, wenig persönliche Entscheidungsbefugnisse, Fehler vermeiden usw. gewöhnt. Da kann man nicht erwarten, dass allen der Wechsel auf ganz andere Verhaltensweisen problemlos gelingen wird.

    Aktivität, Initiative, Handeln, Verantwortung, Mut, Fehlertoleranz, schnelles Umsetzen, Reflexion und kontinuierliches Weiterlernen … die Aufzählung liesse sich fortsetzen. Das sagt sich alles leicht, stellt aber höchste Ansprüche an die Mitarbeitenden, wenn es um die Verhaltensänderung geht.

    Es gibt verschiedenste Verhaltensweisen, die in den Organisationen zunächst verlernt oder abgelegt werden sollten, bevor das neue „agile Verhalten“ um sich greifen kann. Es erfordert geklärte, transparente Rahmenbedingungen und dann v.a. viel Übung und Training im „Praxisbetrieb“.

    Gestützt wird das neue, geänderte, agilere Verhalten durch eine Einstellung und Grundhaltung, die Svenja Hofert als „agiles Mindset“ beschreibt: „Dieses ist gekennzeichnet durch die Fähigkeit zur Selbstführung und Selbstaktualisierung, im Grunde also die Kompetenz, jederzeit ein „Update“ aufzuspielen. In dieser Kompetenz ist auch die Fähigkeit enthalten, Regeln zu brechen und situativ neue zu definieren. Entwicklungspsychologisch braucht es also eine voll ausgereifte Persönlichkeit – rein statistisch … nicht der Normalfall.“3)

    Die Einführung von neuen Formen und Methoden der Selbstorganisation wird gelingen, wenn sich das Mindset dahinter ebenfalls verändern lässt.

    Es braucht dringend neue agilere Organisationsformen und Methoden, aber auch ein gutes neues Zusammenspiel von Hierarchie und Selbstorganisation, von Stabilität und Flexibilität.

    Quellen:

    1. McGrath, Rita G.: How the Growth Outliers Do It, Harvard Business Review, January-February 2012
    2. Keller, Scott und Meaney, Mary: Leading Organizations. Ten Timeless Truths, Bloosmbury, London 2017
    3. Hofert, Svenja: Agiler führen. Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität, 2. Auflage, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2016

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