Schlagwort: Gerhad Klocker

  • Intelligentes Zusammenspiel

    Intelligentes Zusammenspiel

    In Zukunft sind wir die ‚Natürliche Intelligenz‘ neben der Künstlichen. Das ist ein Unterschied, den wir verstehen, feiern und für uns nutzen sollten, findet die Trendforscherin Birgit Gebhardt.

    Momentan dreht sich alles um die Künstliche Intelligenz und wo man sie überall einsetzen kann: In Produktion und Fertigung, Handel und Logistik, in Energieversorgung wie Finanzdienstleistungen, in der Verwaltung, im Gesundheitswesen, Entertainment zur Qualitätssicherung, Einhaltung von Regularien und zur Sicherheit. Ob als Chatbot oder Roboter, ob in der Maschine, im Smartphone oder im Videogame: Künstliche Intelligenz kommuniziert, erkennt, berechnet und analysiert vieles, was vorher zum Tätigkeitsspektrum von Wissensarbeit gehörte. Das erleichtert und beschleunigt vieles, aber es stellt auch die Frage in den Raum, was uns Menschen zu tun bleibt und wie sich unsere geistigen Tätigkeiten verändern werden.

    Versuchen wir zunächst einmal, uns diese neue smarte Welt vorzustellen: Hier werden Aussagen verstanden, eine Nachfrage findet globale Angebote, Fachwissen ist überall verfügbar, Bots fassen Gespräche zusammen, Avatare im Metaverse versprechen Identitäten ohne Diskriminierungen, soziale Medien verbinden Interessen, Smart Watches monitoren unsere Work-Life-Balance und personalisierte Chatbots organisieren alltägliche Erledigungen – sofern wir sie damit beauftragen.

    Schnell wird klar: Die Vorteile liegen in der vernetzten Kommunikation, zwischen Menschen, Medien und Maschinen. Mit künstlicher Intelligenz automatisieren wir die Abwicklungsprozesse in den Backoffices, vernetzen kundenorientiert Middle- mit Frontdesk und setzen sie als gesprächiges Interface zwischen uns und unsere Umgebung. Damit schaffen wir eine Welt, in der alles miteinander sprechen kann – und wir dafür sorgen müssen, dass es auch richtig verstanden wird.

    Insofern scheint es vollkommen richtig, dass wir uns stärker dem kritischen Denken und Hinterfragen widmen, dass wir über unsere natürliche Intelligenz das Gespür für die Situation und über unsere Erfahrungen das Verständnis für den Kontext mit einfliessen lassen. Zum einen verlangt das nach einem breiteren humanistischen Bildungssockel, der uns ähnlich wie in einem Studium Generale mit vielen Sachverhalten, Zusammenhängen und neuen Perspektiven bekannt macht, wenn sich zum Beispiel MINT-Fachrichtungen mit Geisteswissenschaften kombinieren lassen oder die Lerngruppen divers und aus mehreren Kulturkreisen zusammengesetzt sind.

    Zum anderen benötigen wir neue Übungsmöglichkeiten, die unsere Wahrnehmung, Reaktionsschnelligkeit und Anpassung trainieren, denn das besagte Gespür für Menschen, Situationen und Veränderungen ist der Grundstock unserer natürlichen Intelligenz, – in unserem Sozialverhalten wie im Überlebenstrieb.

    Paläontologen vermuten, dass sich die natürliche Intelligenz des Menschen aus der Interaktion mit seiner direkten Umgebung ergeben hat, die ihn mal ernähren und mal bedrohen konnte, und dass wir diese Merkmale bis heute in unserem evolutionären Gedächtnis tragen. Auch wir betreiben also Mustererkennung, und in unserem Gehirn und Gedächtnis sogar noch komplexer als die KI, denn jeder Input, jede Wahrnehmung, wird unmittelbar mit der erinnerten Gefühls- und Erfahrungswelt abgeglichen.

    Psychologen wissen, dass wir Menschen zu rein rationalen Analysen gar nicht fähig sind, sondern immer interpretieren und unwillkürlich bewerten. Nicht selten umschiffen wir Wissenslücken mit Emotionen, über intuitives Verhalten, suchen Antworten in der Gruppe oder Beispiele und Gleichnisse in der Umgebung – und genau diese Kombination aus Erkennen, Erspüren und Bewerten in permanenter Wechselwirkung mit unserem Umfeld macht unsere natürliche Intelligenz aus.

    Es geht also um die Interaktion zwischen allen Beteiligten und in allen erdenklichen Formen des Wissens- und Erfahrungsaustauschs. Denn die erlebte Interaktion ist die fruchtbarste Lernstufe. Hier lässt sich – bestenfalls im Anwendungskontext – Neues erproben und einüben. Erst in der gemeinsamen Interaktion zeigt sich, was aus dem passiven Empfangen von Instruktionen und dem aktiven Suchen nach Informationen wirklich hängengeblieben und relevant für die aktuelle Fragestellung ist.

    Wenn es also die Interaktion mit der Umgebung oder der Gruppe war, die uns vor Millionen Jahren intelligent werden ließ, weil wir Werkzeuge erschufen, um den Herausforderungen unserer Umgebung zu begegnen, dann dürfen wir die KI genau so verstehen – als Werkzeug, das uns helfen kann, jetzt die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen.

    Birgit Gebhardt ist Trendforscherin und berät Unternehmen zur Zukunft der Arbeitswelt.
    birgit-gebhardt.com

    Illustrationen: Signorinah
    Einen Kurzfilm zur Arbeitswelt der Zukunft finden Sie unter diesem Link.
  • Die Familie als Geheimnis langlebiger Familienunternehmen

    Die Familie als Geheimnis langlebiger Familienunternehmen

    Was macht langlebige Familienunternehmen erfolgreich? Bei aller Heterogenität der Familienunternehmen zeigen sich Muster und Kompetenzen, die Langlebigkeit befördern. Der amerikanische Forscher Dennis T. Jaffe hat weltweit 100 Unternehmerfamilien analysiert, die seit mindestens 100 Jahren „Familienunternehmertum“ praktizieren.1)

    Zusammenarbeit als Unternehmerfamilie

    Die Erfolgsschlüssel sind die Unternehmerfamilie und ihre Verfasstheit. Die teilweise dynastischen Familienverbünde verfügen neben ihrer hohen Professionalität über eine bestimmte „Familiarität“: Es braucht ein gutes Mass an Familien- bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn sie sich nicht als einen „Investorenclub mit gemeinsamen Vorfahren“ verstehen wollen. Diese besondere Zusammenarbeit der Familie, die langfristig nachhaltige Ausrichtung („Enkeltauglichkeit“), die Weitergabe gemeinsamer Werte an nachfolgende Generationen sowie gesellschaftliches Engagement beschreiben die Intelligenz langlebiger Familienunternehmen.

    Jaffe hat seine Erkenntnisse in „Acht Weisheiten langlebiger Familienunternehmen“ zusammengefasst. Sie lauten:

    1. Aufbau und Erhalt einer „stabilen“ Großfamilie.

    Die Zusammenarbeit und das Zusammenspiel im Familienverbund funktionieren. Dynastische Unternehmerfamilien sehen die Bedeutung tiefer, persönlicher Beziehungen und investieren in regelmäßige Familientreffen und -versammlungen. Die Geschichte der Familie wird immer wieder erzählt. Das intellektuelle Erbe wird an die nächsten Generationen weitergegeben.

    2. Wertekanon als Rahmen für Kultur und Zielsetzung.

    Werte stellen das nicht-finanzielle Familienkapital der Unternehmerfamilie dar. Sie sind die zentralen Leitlinien für das Handeln. Die Werte müssen immer wieder geteilt werden, um der Zersplitterungsdynamik bei beispielsweise mehreren Kernfamilien erfolgreich entgegenwirken zu können.

    3. Kulturwandel von Paternalismus zu Partnerschaft.

    Kontrolle, Vertrauen, Transparenz sind auch in Familienverbünden anspruchsvolle Dimensionen. Im Übergang von der ersten zur zweiten, dritten usw. Generation spielt die Entwicklung der Kultur der Unternehmerfamilien eine wichtige Rolle – von einer fürsorglichen, paternalistischen, eher intransparenten in früheren Generationen zu einer transparenten und kooperativen Kultur heute.

    4. Trennung der Governance von Familie und Unternehmen.

    Beide Systeme Familie und Unternehmen benötigen bewusste Steuerung und Leitung: Familiy Governance und Corporate Governance sind dabei voneinander zu trennen. Strukturell hilft oft die Einrichtung eines Familienrates als Steuerungsgremium der Familie.

    5. Weiterentwicklung und Erneuerung des Eigentumsportfolios.

    Unternehmerfamilien entscheiden sich oft, einen Großteil ihres Vermögens im Unternehmen zu belassen und zu investieren. Dabei verharren sie nicht im Routinierten und Althergebrachten, sondern es gelingt ihnen, sich auf Innovationen und neue Geschäftsfelder einzulassen und zu differenzieren.

    6. Aktive, generationsübergreifende Stakeholder-Allianz.

    Jaffe beschreibt drei Gruppen, die sich in erfolgreichen Unternehmerfamilien konstruktiv, kollaborativ und wertebasiert begegnen:

    • Die Älteren, die das Vermächtnis und die Tradition gut im Blick haben.
    • Die heranwachsende Generation, die für neue Werte und Innovationsbereitschaft eintreten.
    • Die „Professionals“, die besondere Kompetenzen und Expertise in die Diskussion einbringen. Hier finden sich oft familienexterne Führungskräfte und Berater*innen.

    7. Befähigte und motivierte Nachfolgegeneration.

    Das wichtigste „Produkt“ einer starken Unternehmerfamilie ist die nachfolgende Generation. Das ist ein zentrales Anliegen der Familie. Investiert wird in die Aus- und Weiterbildung der Jungen. Wiederkehrend wichtige Werte sind Grosszügigkeit, Respekt, Arbeitsmoral, Selbstwertgefühl, betriebswirtschaftliches Know-How, Verantwortung für Reichtum und Sparsamkeit.

    8. Zusammenarbeit, um die Welt besser zu machen.

    Dynastische Unternehmerfamilien stellen sich der Frage, welche Auswirkungen ihr Vermögen auf die Welt hat und wofür sie es verwenden wollen. Das diesbezüglich soziale Engagement wirkt identitätsstiftend. Familienintern dient es dazu, eine Einheit über Generationen hinweg aufrechtzuerhalten.

    Das Hauptmerkmal liegt im zukunftsorientierten Selbstmanagement der Unternehmerfamilie. Die Intelligenz dieser Familienunternehmen zeigt sich in ihrer Fähigkeit, als Familienverbund nachhaltige, „enkelfähige“ Ansätze zu entwickeln.

    Quelle

    1. Dennis T. Jaffe: Die acht Weisheiten langlebiger Familienunternehmen, 2021 Witten; erschienen im: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Universität Witten/Herdecke (vgl. www.wifu.de)

  • Handlungsanleitung für  Zukunftsgestalter*innen

    Handlungsanleitung für Zukunftsgestalter*innen

    Welche Koordinaten verwenden wir beim Steuern von Organisationen und Abteilungen? Da für die Zukunft nicht alles eindeutig vorhersagbar ist, brauchen wir immer wieder gute Orientierungen, um angemessen entscheiden zu können. Aus der Komplexitätsforschung kommen dazu einige hilfreiche Modelle. Sie dienen uns als nützliche  „Landkarten“ bei der Zukunftsgestaltung.

    Uns gefällt die hier beschriebene Übersicht gut, weil diese den Gestaltungswillen der Gestalter*innen als wichtiges Kriterium mit berücksichtigt. Entscheidend ist nicht nur, welches Vorgehen der Grad der Komplexität einer Aufgabe erfordert, sondern es geht auch darum, wie ausgeprägt der „Gestaltungswille“ von uns Handelnden ist.

    Wir wollen Ihnen hier eine kleine Handlungsanleitung liefern – was macht Sinn, um mit der Fülle der Aufgaben und Problemlagen vernünftig umzugehen. Dazu haben wir eine Darstellung aus der Welt von Effectuation und der Entrepreneurship-Forschung übernommen und leicht angepasst (vgl. Faschingbauer).

    in Anlehnung an Faschingbauer, nach Wiltbank et al., 2017

    Welcher Modus passt am besten zur vorliegenden Situation?

    Im ersten Feld „Planung“ finden sich Aufgabenstellungen, die klar vorhersehbar sind. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist offensichtlich. Eine gute Analyse hilft, die unterschiedlichen Varianten zu entwickeln, um zu entscheiden und in der Folge in die Umsetzung zu gehen. Es handelt sich um Probleme, die bekannt sind, für die es einfache und gute Lösungen gibt. Die Lösung des Problems verlangt vergleichsweise wenig Know-how. Wir verwenden oft gut eingeübte Routinen um damit umzugehen.

    Viele Herausforderungen, mit denen Sie als Führungskraft konfrontiert sind, fallen in diese Kategorie. Die Vorgehensweise lautet: analysieren, beurteilen und kategorisieren, handeln. Und genau das machen Sie oft: Als Führungskraft lassen Sie sich das Problem schildern, beurteilen es und reagieren darauf. Es gibt bekannte Abläufe und „gute Routinen“, an die Sie sich halten, um das Problem bestmöglich zu lösen.

    In den drei folgenden Feldern können keine eindeutigen Aussagen über den Zusammenhang von  Ursache und Wirkung gemacht werden – gegebenenfalls im Nachhinein. Teilweise wissen wir noch nicht mal, welche Fragen wir stellen müssen. Wir tappen im Ungewissen. Die Vorgehensweisen im Umgang mit der Ungewissheit sind andere als im „Planungs“-Feld.

    Das zweite Feld lautet „Vision“. Ein klares Bild von der Zukunft, die wir gestalten wollen, zu haben, ist eine wichtige Ressource und Orientierung. Menschen mit Visionen machen Eindruck. Es wirkt, wenn Sie die Zukunft nach Ihren Vorstellungen formen und gestalten. Dafür wird ein attraktives Zukunftsbild benötigt. Die Umsetzung braucht Mut und Ausdauer, oft auch Macht und/oder Kapital – Sie benötigen unter Umständen einen „langen Atem“, um ans Ziel zu kommen.

    Das nächste Feld ist „Anpassung“. Hier geht es darum, sich schnell neuen Situationen anzupassen und rasch zu lernen. Es gilt, sich fit für eine noch nicht bekannte Zukunft zu machen und zu bleiben. In der aktuellen Agilitätsdiskussion haben wir es mit diesem Feld zu tun: schnelle Rückkopplung durch den Kunden oder Anwender, Trial-and-Error, kurze Lernschleifen. Das erfordert Training. Es geht darum, in die eigene Fitness – als Unternehmen – zu investieren. Und es stellt sich die Frage nach dem richtigen Maß an Fitness: zu wenig trainiert, übertrainiert, die falschen Muskeln trainiert? Wieviel Training wird benötigt? Wieviel Prototyping, Tests und Experimente sind erforderlich? Wie viele „Bälle gilt es, in der Luft“ zu halten?

    Das vierte Feld ist „Co-Creation“. Damit wird die Fähigkeit beschrieben, zusammen mit anderen Stakeholdern (Kund*innen, Lieferanten, aber auch internen Expert*innen) Neues zu entwickeln. Wo sind die Partner*innen, mit denen wir uns zusammentun? Das Motto lautet, „die Zukunft gemeinsam auszuhandeln“. Das ist vielleicht da und dort aufwändiger, weil es Entscheidungsprozesse mit mehreren Beteiligten benötigt. Es bietet die Chance, zu neuen, noch nicht dagewesenen Lösungen und Ansätzen zu kommen.

    Prüfen Sie doch, in welches der Felder Ihre anstehenden Aufgaben und Entscheidungen am besten passen. Die Problemlage mit der entsprechenden Haltung und Vorgehensweise zu bearbeiten, kann Zeit „sparen“ und hilft der eigenen Ressourcensteuerung.

    Quelle

    Faschingbauer, Michael: Effectuation – Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, 3. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag 2017

  • Zwischen Hierarchie und Selbstorganisation

    Zwischen Hierarchie und Selbstorganisation

    Ein Klassiker! – Hierarchie und Selbstorganisation gehören zusammen. Aber derzeit ist vor allem Selbstorganisation in aller Munde. Die Anforderungen der Märkte und Kunden verlangen mehr Flexibilität und schnelleres Handeln. Die Digitalisierung erhöht Tempo, Transparenz und Individualisierung.

    Die Unternehmen mit ihren oft alten Strukturen können dem nicht mehr standhalten. Herkömmliche Organisationen erweisen sich als zu wenig anpassungsfähig. „Es muss sich jetzt deutlich etwas ändern. Wir brauchen eine „Enthierarchisierung“, die Hierarchie muss weg. Wenn die Menschen sich selbst organisieren, funktioniert das.“

    Soll jetzt Selbstorganisation als neues Allheilmittel herhalten?

    Was ist Selbstorganisation?

    Selbstorganisation ist, wenn aus Chaos Ordnung wird.

    Selbstorganisation ist, wenn Menschen Verantwortung übernehmen und handeln. Sie erkennen eine für sie wichtige Bedarfslage und ergreifen die Initiative. Aus der Interaktion erwachsen im Laufe der Zeit bestimmte Regeln für die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit. Aus Chaos, aus unübersichtlichen Situationen wird Ordnung: Es entwickeln sich stabile(re) Strukturen und Verhaltensmuster.

    Das kann man im öffentlichen Raum sehr gut beobachten. Zum Beispiel bei der Ankunft der Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof im Sommer 2015 entstand eine Struktur des Zusammenarbeitens „fast wie von selbst“. Das kann man in den Organisationen tagtäglich beobachten, wenn Mitarbeiter nicht definierte und „trotzdem“ sinnhafte Aufgaben von sich aus übernehmen.

    Ohne Selbstorganisation würden Unternehmen nicht reibungslos funktionieren.

    Selbstorganisation und „hierarchiefreier Raum“: Wie viel Hierarchie ist nötig?

    Hierarchie ist zunächst nichts Negatives. Sie hat den funktionalen Sinn, die Komplexität in den Organisationen zu reduzieren und für die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten usw. Orientierung herzustellen. Das kommt unserem Bedürfnis nach Klarheit und Ordnung entgegen. Wenn jetzt die Hierarchie abgeschafft wird, wird in kürzester Zeit (selbstorganisiert) eine neue, oft informelle Hierarchie entstehen: Wer sind die Erfahrenen, die Wissenden, die Kollegialen usw., denen wir uns zuwenden, an denen wir uns orientieren? Es wird wieder eine „Ordnung“ entstehen.

    Die zentrale Frage, um als gesamte Organisation flexibler und anpassungsfähiger werden zu können, ist nicht: Hierarchie ja oder nein, sondern welche Form (von Hierarchie) ergibt den besten Sinn für unser Business.

    Wie soll eine neue, flexiblere Ordnung aussehen? Wie sollen die Rahmenbedingungen für die z.B. in hohem Maße selbständigen, agilen Teams aussehen? – Und welche Kompetenzen kommen damit den unterschiedlichen Rollen zu, seien es die (verbleibenden) Führungskräfte oder Process Owner oder Scrum Master usw.?

    Selbstorganisation, Profitabilität und Wachstum

    Es braucht neue und andere Organisationsformen, die grundsätzlich auf Anpassungsfähigkeit und Agilität ausgerichtet sind. Diesbezüglich wird derzeit einiges angeboten und es wird viel experimentiert – und das ist gut so.

    Aber werden Agilität und Flexibilität ausreichen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Müssen alle Unternehmen nach dem Start-up-Modus funktionieren, um die Zukunft mitgestalten zu können?

    Es gibt eine sehr beachtenswerte Studie von Rita G. McGrath, die an der Columbia Business School arbeitet.1 Damit belegt sie die Bedeutung und das Potenzial von großen, erfolgreichen Unternehmen, die oft als „weniger agil“ gehandelt werden.

    McGraths Forschungsarbeit zeigt, dass große Unternehmen, die ihr Einkommen überproportional steigern, zwei Hauptmerkmale haben: „Auf der einen Seite sind Wachstumsunternehmen auf Innovation ausgerichtet, sie sind gut im Experimentieren und können sich auf die Schnelle bewegen. Auf der anderen Seite sind sie extrem stabil, die Strategie und Organisationsstruktur bleiben konsistent und die Kultur ist stark und unveränderlich.“

    Agilität braucht Stabilität.

    Für viele schließen sich Geschwindigkeit, Flexibilität, Innovation einerseits und Effizienz und kontrolliertes Risiko andererseits aus. Dem ist nicht so! Unternehmen, die sowohl schnell als auch stabil sind, haben eine mehr als dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, leistungsstark und profitabel zu sein, als solche, die schnell sind, aber keine stabilen Strukturen haben.2

    Agilität ist nicht mit Flexibilität gleichzusetzen. Das ist ein Trugschluss. Agile Organisationen sind zugleich flexibel und stabil.

    Um agil zu sein, muss geklärt werden, welche Teile des Organisationsdesigns stabil und unveränderlich sind und gleichzeitig gilt es, dynamischere Elemente zu schaffen, die sich schnell an neue Herausforderungen und Möglichkeiten anpassen lassen.

    Das führt in die derzeit aktuelle Ambidextrie-Diskussion: Organisationen müssen beide Betriebsmodi beherrschen – exploit and explore. Organisationen müssen gleichzeitig effizient und flexibel sein.

    Selbstorganisation braucht Kompetenzen, Fähigkeiten und ein „agiles Mindset“

    Die Diskussion wird oft nur auf der Strukturebene geführt: Welche neuen Organisationsformen gibt es? Was sind ihre Vorzüge und Nachteile? usw.

    Es geht natürlich auch sehr um die personalen Kompetenzen. Verstärkte Selbstorganisation und erhöhte Anpassungsfähigkeit einer Organisation verlangen bestimmte Qualifikationen und Fähigkeiten von den Mitarbeitenden.

    Menschen sind oft an individuelle Führung (von oben), Fremdorganisation, wenig persönliche Entscheidungsbefugnisse, Fehler vermeiden usw. gewöhnt. Da kann man nicht erwarten, dass allen der Wechsel auf ganz andere Verhaltensweisen problemlos gelingen wird.

    Aktivität, Initiative, Handeln, Verantwortung, Mut, Fehlertoleranz, schnelles Umsetzen, Reflexion und kontinuierliches Weiterlernen … die Aufzählung liesse sich fortsetzen. Das sagt sich alles leicht, stellt aber höchste Ansprüche an die Mitarbeitenden, wenn es um die Verhaltensänderung geht.

    Es gibt verschiedenste Verhaltensweisen, die in den Organisationen zunächst verlernt oder abgelegt werden sollten, bevor das neue „agile Verhalten“ um sich greifen kann. Es erfordert geklärte, transparente Rahmenbedingungen und dann v.a. viel Übung und Training im „Praxisbetrieb“.

    Gestützt wird das neue, geänderte, agilere Verhalten durch eine Einstellung und Grundhaltung, die Svenja Hofert als „agiles Mindset“ beschreibt: „Dieses ist gekennzeichnet durch die Fähigkeit zur Selbstführung und Selbstaktualisierung, im Grunde also die Kompetenz, jederzeit ein „Update“ aufzuspielen. In dieser Kompetenz ist auch die Fähigkeit enthalten, Regeln zu brechen und situativ neue zu definieren. Entwicklungspsychologisch braucht es also eine voll ausgereifte Persönlichkeit – rein statistisch … nicht der Normalfall.“3)

    Die Einführung von neuen Formen und Methoden der Selbstorganisation wird gelingen, wenn sich das Mindset dahinter ebenfalls verändern lässt.

    Es braucht dringend neue agilere Organisationsformen und Methoden, aber auch ein gutes neues Zusammenspiel von Hierarchie und Selbstorganisation, von Stabilität und Flexibilität.

    Quellen:

    1. McGrath, Rita G.: How the Growth Outliers Do It, Harvard Business Review, January-February 2012
    2. Keller, Scott und Meaney, Mary: Leading Organizations. Ten Timeless Truths, Bloosmbury, London 2017
    3. Hofert, Svenja: Agiler führen. Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität, 2. Auflage, Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2016

  • Innovation: Wissen x Kreativität x Ausdauer

    Der Einkaufswagen im Supermarkt gehört zu unseren größten Ärgernissen. In fünf von acht europäischen Ländern haben die Verbraucher den Einkaufswagen auf Platz eins ihrer Frustrationen im Alltag gesetzt.

  • Das World Café

    Entscheidendes organisationales Lernen geschieht durch informelle Kommunikation, die sich durch die vielen Netzwerke persönlicher Beziehungen und Bekanntschaften zieht.

  • Dynamic Facilitation – eine alternative Erfahrung der Gruppenarbeit und des Problemlösens

    „A mind-expanding experience of an alternative approach to group discussing and problem solving.“ Card Chetkovich

    „Wie soll das jetzt funktionieren?!“